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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses
Autoren: Ellis Peters
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entfernt im Süden eines Landes, in dem der Tod seit langem zum Alltag gehörte, kein Anlaß zu einer so feierlichen Erwähnung und Ehrung; das Schlachtfeld bei Lincoln war mit Toten übersät gewesen, in den Straßen von Worcester floß Blut, Grafen kämpften allenthalben um Land, und Räuberbanden beherrschten Dörfer, in denen das Gesetz nicht mehr galt. Dann betrachtete er es von einer anderen Seite, nämlich mit den weltklugen Augen des Abtes.
    Da war ein guter Mann in eben jener Stadt, in der Prälaten und Barone über Frieden und Königswürde verhandelten, niedergestochen worden, als er versuchte, die Parteien daran zu hindern, sich gegenseitig die Kehlen durchzuschneiden.
    Direkt unter der Nase des päpstlichen Legaten. Das war ein so schlimmes Sakrileg, als hätte man ihn auf den Altarstufen niedergemacht. Es war nicht der Tod eines einzelnen Mannes, es war ein bitteres Symbol für die Schwäche des Gesetzes und das Fehlen von Hoffnung und Trost. So hatte Radulfus es gesehen und so wollte er die Erwähnung des Mannes in den Gottesdiensten seines Hauses verstanden wissen. Der tote Mann sollte feierlich geehrt und dem Himmel empfohlen werden.
    »Der Vater Abt bittet uns«, sagte Prior Robert, »für sein ehrenhaftes Einschreiten zu danken und für die Seele von Rainald Bossard zu beten, eines Ritters, der in den Diensten der Kaiserin Maud stand.«
    »Einer aus den Feindesreihen«, bemerkte ein junger Novize zweifelnd, als sie danach im Kreuzgang darüber sprachen. Sie waren in dieser Grafschaft daran gewöhnt, die Sache des Königs für ihre eigene zu halten, denn sein Erlaß hatte es ihnen ermöglicht, in den letzten vier Jahren ein geruhsames Klosterleben zu führen und hatte ihnen den größten Teil des Aufruhrs, der ganz England in Unruhe versetzte, erspart.
    »Gewiß nicht.«, erwiderte Bruder Paul, der Novizenmeister, mit sanftem Tadel. »Kein guter und ehrbarer Mann ist unser Feind, nur weil er in diesem Streit für die andere Seite eintritt. Die Lehnspflicht dieser Welt gilt nicht für uns, aber wir müssen sie als wertvolles Gut achten, als eine Verpflichtung, die ebenso schwer wiegt wie unsere Gelübde. Die Ansprüche beider Thronbewerber sind in gewisser Weise berechtigt, und es ist kein Makel, wenn man seinem Herrn die Treue hält, ob es nun der König ist oder die Kaiserin. Und dieser Mann war gewiß ehrbar, denn sonst hätte der Vater Abt uns nicht aufgetragen, für ihn zu beten.«
    Bruder Anselm, der grübelnd die Silben des Namens nachsprach, klopfte den Rhythmus auf die Steinbank, auf der er saß, und wiederholte leise den Namen: »Rainald Bossard, Rainald Bossard...«
    Der jambische Rhythmus klang in Bruder Cadfaels Ohren nach und kroch in sein Bewußtsein. Es war ein Name, der niemand hier etwas bedeutete. Man konnte keine Gestalt und kein Gesicht, kein Alter und keinen Charakter damit verbinden. Es war nichts weiter als ein Name, also entweder eine Seele ohne Körper oder ein Körper ohne Seele. Der Name begleitete Cadfael in seine Zelle im Dormitorium, wo er die letzten Gebete sprach und die Sandalen abstreifte, bevor er sich zum Schlafen niederlegte. Der Rhythmus setzte sich sogar in seinem traumlosen Schlaf fort, denn als ein Gewitter aufkam, erwachte Cadfael von einem lautlosen doppelten Blitz, der diesem Rhythmus folgte. Cadfael fuhr mit geschlossenen Augen auf und wartete auf den Donner. Der ließ so lange auf sich warten, daß Cadfael glaubte, nur geträumt zu haben. Doch dann hörte er ihn, weit entfernt und leise und dennoch seltsam bedrohlich.
    Hinter Cadfaels geschlossenen Lidern zuckten und erstarben die stummen Blitze, und das Echo kam so spät und so leise, aus so großer Ferne...
    So fern vielleicht wie die märchenhafte Stadt Winchester, in der wichtige Entscheidungen gefallen waren. Cadfael hatte die Stadt noch nie gesehen, und wahrscheinlich würde er sie niemals sehen. Eine Bedrohung aus einer so fernen Stadt konnte hier ebensowenig Grundmauern und Herzen erschüttern, wie der weit entfernte Donner die Stadtwälle von Shrewsbury niederreißen konnte. Doch das beunruhigende Murmeln klang in Cadfaels Ohren nach, als er wieder einschlief.

2. Kapitel
    Abt Radulfus ritt am dritten Juni, von seinem Kaplan und Sekretär, Bruder Vitalis, eskortiert, in die Abtei von St. Peter und St. Paul ein und wurde von allen dreiundfünfzig Brüdern, den sieben Novizen und sechs Klosterschülern und von allen Laienbrüdern und Dienern wärmstens begrüßt.
    Der Abt war ein hochgewachsener,
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