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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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eingestaubt, weil Frau Krämer, die Mutter ab und zu im Haushalt zur Hand ging, ebenfalls striktes Verbot hatte, dort irgendetwas zu berühren. Hinter den Glastüren der Wandschränke herrschte ein wildes Durcheinander aus Zeitschriften, medizinischen Büchern und schlimm zerknitterten, eingerissenen Notizzetteln aller Art. Doch das Regal mit den CDs, das die ganze Längswand rechts und links der Stereoanlage einnahm, war geradezu akribisch geordnet, ebenso wie die zahllosen Kassetten in den Schubladen darunter. Etwa ein Drittel der CDs enthielt die Symphonien und Opern, die sein Vater zur Entspannung zu dirigieren pflegte, der Rest waren Werke, die in irgendeiner Weise mit dem Cello zu tun hatten: Cellokonzerte, Suiten, Sonaten, Duette mit Klavier, Kammermusik und dergleichen. Vater führte eine Datenbank aller Tonträger auf seinem Computer, und die nach verschiedensten Kriterien ausgedruckten Listen waren immer auf dem neuesten Stand.
     
    So war es kein Problem, Aufnahmen der Suite für Violonce l lo solo Nr. 5 c-Moll BWV 1011, wie das Werk von Johann Seba s tian Bach offiziell hieß, von verschiedenen Interpreten zu finden. Er wählte eine CD mit einem Konzert von Pablo Casals aus den Dreißigerjahren und eine moderne Aufnahme mit Heinrich Schiff aus den Achtzigern, erwog eine CD von Yo-Yo Ma, verwarf sie aber – Mas Interpretationen waren in der Regel zu eigensinnig, um einem Schüler als Vorbild dienen zu können – und stieß noch auf eine Kassette mit dem Solisten Daniel Müller-Schott. Als er probeweise hineinhören wollte, fand er im Kassettenschacht von Vaters Anlage eine Kassette vor, die er noch nie gesehen hatte – uralt aussehend, ein knal l rotes Billigprodukt und im Gegensatz zu den sonstigen G e pflogenheiten nur miserabel beschriftet: Auf der A-Seite stand mit blauem Filzstift »J. «, gekritzelt, das war alles.
    Wolfgang steckte sie zurück in den Recorder und ließ sie laufen. Ein Cello, wie nicht anders zu erwarten. Sein Cello, das hörte er deutlich. Vater hatte immer wieder Aufnahmen gemacht, wenn er geübt hatte, schon seit jeher. Diese Aufna h me hier musste uralt sein. So gut hatte er damals gespielt? Kaum zu glauben. Er musste schmunzeln, als das Stück – im Moment fiel ihm nicht ein, was es war – mit einem Missklang abbrach und er sich mit heller Kinderstimme sagen hörte: »Ich fang noch mal bei Takt sechzig an.«
     
    Er legte die rote Kassette beiseite. Irgendwie stimmte ihn das wieder zuversichtlich. Immerhin, er hatte als Kind wirklich gut gespielt, also lag es nur am Üben, oder? Womöglich hatte sein Cellolehrer Recht, der zu sagen pflegte: »Die Pubertät macht Jungs faul – da haben sie die ganze Zeit Mädchen im Kopf.«
    Auf seinem Zimmer hörte er die Aufnahmen nacheinander an, mit geschlossenen Augen, völlig auf die Cellostimme konzentriert. Er sah sich dabei selber spielen, spürte den Strich des Bogens, fühlte den Satz der Finger, lauschte auf Phrasierungen, Vibrati, die An- und Abstriche. Danach kramte er die Noten hervor, nahm das Cello zwischen die Schenkel, griff nach dem Bogen und probierte es selbst.
    Es wurde schrecklich. Er hörte es schon, während er spielte, und als er sich danach die Aufnahme anhörte, fand er sein Spiel noch schrecklicher. Die Tempi – ungleichmäßig. Die Phrasierungen – plump. Verglichen mit den großen Vorbildern war das, was er zuwege gebracht hatte, stümperhaft und seelenlos. Enttäuscht pfefferte er den Bogen aufs Bett.
    Wie konnte das sein? Er war von klassischer Musik umgeben aufgewachsen. Sein Cello hatte schon in der Ecke gestanden, dunkel, schön und wohlriechend, als er noch nicht einmal hatte laufen können. Schon als Dreikäsehoch war er in die Musikvorschule gegangen, und das gern, hatte mit Trommel und Xylophon begriffen, wie man Höhen und Längen von Noten verstand und was ein Takt war, hatte mit den anderen vor stolz versammelten Eltern gesungen und musiziert. Mit dem Cello anzufangen war ganz selbstverständlich gewesen, zuerst mit einem halben, als er noch in der Grundschule und zu klein für das richtige Instrument war, später mit einem Dreiviertelcello und endlich mit seinem eigenen: Nun sei er groß, hatte sein Vater ihm damals gesagt, und er war stolz gewesen. Wie sein Vater es wollte, ging er jede Woche zweimal zum Unterricht und übte jeden Tag, nicht immer gern und nicht immer ohne Ermahnung, aber er hatte stets gehorcht und nie weiter darüber nachgedacht: Es war eben, wie es war.
    Wie konnte es sein,
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