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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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heraus. »Ich bin jetzt schon so viele Jahre bei Ihnen, da müssen Sie doch sagen können, was in mir steckt und was nicht!«
    Eine Pause entstand, und je länger sie dauerte, desto mehr bekam Wolfgang das Gefühl, etwas unsagbar Dummes gesagt zu haben. Der Lehrer ließ seinen Blick über die großen Cellisten wandern, seufzte schließlich und sah ihn nachdenklich an. »Es sollte dir um die Musik gehen, Wolfgang«, sagte er mit einem traurigen Klang in der Stimme. »Nicht um eine Karriere.«
     
    Wolfgang sah ihn an und begriff mit plötzlichem Schr e cken, dass es aber immer genau darum gegangen war: um eine Karriere. Um seine Karriere. Der Bogen in seiner Hand schien auf einmal schwer zu werden. Das Cello kam ihm plötzlich fremd vor. Alles, was er zeit seines Lebens getan hatte, war auf eine große Karriere als Musiker ausgerichtet gewesen – die sei n Vater sich für ihn erträumte!
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    Er schlief schlecht an diesem Abend, wälzte sich in seinem Bett, schwitzte unter seiner Decke und fror, wenn er sich aufdeckte. In seinem Kopf ratterten die Räder, rasten Gedanken wie aufgescheuchte Wildpferde, liefen immer wieder die gleichen Filme ab. Sein Entsetzen während des Konzerts – das war nichts anderes gewesen als Angst, pure, blanke Angst, die Erwartungen nicht zu erfüllen, die sein Vater an ihn hatte.
     
    Aber das war doch verrückt, oder? Er war schließlich nicht dazu auf der Welt, die Erwartungen seines Vaters zu erfüllen. Was nicht ging, ging eben nicht, ganz gleich, wie sehr Vater es sich wünschte. Wenn es zum Solisten nicht reichte, würde er eben Orchestermusiker werden. Oder er ergriff einen ganz anderen Beruf und spielte nur in seiner Freizeit, in einem kammermusikalischen Ensemble zum Beispiel. Das alles sagte er sich wieder und wieder, den Blick auf den vollen Mond am Nachthimmel gerichtet, nach dem die Wipfel der Tannen schlugen, die rings ums Haus standen wie dunkle Wächter – aber die Angst wollte trotzdem nicht weichen, wurde nur immer tiefer und entsetzlicher. Es war eine Angst so tief und furchtbar, als habe ihn eine Fee an der Wiege mit dem Fluch belegt, er müsse ein weltberühmter Cellist werden oder sterben.
    Da stand es in der Ecke, dunkel schimmernd im Mondlicht, die vier Saiten silberglänzend wie Spinnwebfäden auf dem Griffbrett. Mit fiebriger Entschlossenheit nahm Wolfgang sich vor, noch mehr zu üben, nichts anderes mehr zu tun als zu üben, zu üben, bis ihm die Finger bluteten. So würde er dem Dämon entkommen, der hinter ihm her war. Mitten in diesen Vorsätzen schlief er ein und träumte von Fingersätzen und Notenschlüsseln.
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    Der Journalist und der Detektiv trafen sich spät an diesem Abend, diesmal in einem Café, in dem seichte Schlagermusik laut genug lief, dass Gespräche nicht von Nebentischen aus belauscht werden konnten. Der Detektiv hatte drei manilabraune Umschläge vor sich liegen und hielt die Hände darüber gefaltet, bis die Getränke serviert waren.
     
    »Übermäßig oft bekommt man ihn nicht zu sehen, diesen Jungen«, meinte er dann und schob den ersten Umschlag über den Tisch. »Auf dem Heimweg, auf dem Schulhof und auf dem Sportplatz. Von jedem Bild zwei Abzüge, wie Sie es wollten.«
    Der Journalist warf einen Blick in den Umschlag, ohne die darin befindlichen Fotos herauszuziehen, und nickte. »Die anderen beiden? Die Eltern?«
    Der nächste Umschlag, dünner als der vorige. »Doktor Wedeberg, Chefarzt der Klinik für Tumortherapie. Eine der drei Kliniken, die im Hohenwald-Krankenhaus untergebracht sind; die anderen beiden beschäftigen sich mit Lungenerkrankungen und kosmetischen Operationen. Wird eine Menge Geld verdient dort oben«, sagte der Mann mit dem Durchschnittsgesicht.
    »Kann ich mir vorstellen«, nickte der Journalist. Diesmal zog er das eine oder andere Foto heraus. Sie waren auf dem Parkplatz oder vor dem Haupteingang des Krankenhauses aufgenommen worden.
    »Und seine Frau, beim Friseur und beim Einkaufen. So was wie Freundinnen scheint sie nicht zu haben.«
    Der Detektiv reichte den dritten Umschlag über den Tisch. »Ich habe gleich meine Rechnung dazugelegt.«
    Der Journalist steckte den Umschlag ein, ohne ihn zu öffnen. »Gut. Vielen Dank. Im Moment wär's das, aber es kann sein, dass ich Sie noch mal brauche«, sagte er.
    »Soll mir recht sein«, erwiderte sein Gegenüber, an dessen Anwesenheit sich später niemand im Lokal erinnern würde.
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    Kapitel 3
     
    »Ah«, sagte Vater und faltete die Zeitung
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