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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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»Konzentrieren wir uns auf die Szenerie im Hinte r grund.« Sie deutete auf ein massiv aussehendes, schwarz-weiß geschecktes Gemäuer, über dem sich ein Leuchtturm erhob. »Das ist das Castillo del Morro, das größte und beeindruckend s te Festungsbauwerk am Hafen von Havanna. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert war dies der am stärksten befe s tigte Hafen von ganz Lateinamerika, denn seine bevorzugte Lage an der karibischen See machte die Hauptstadt von Kuba, das damals noch zu Spanien gehörte…«
     
    »Gnade!«, murmelte Cem. »Kann nicht endlich was Neues passieren? Nichts gegen das englische Königshaus, aber falls sich einer von denen den Hals brechen will, wäre jetzt der ideale Zeitpunkt.«
    Wolfgang hörte kaum hin. Er grübelte über den vergangenen Abend nach. Hiruyoki hatte ihn geschockt, klar, aber was hatte das zu bedeuten? Womöglich einfach, dass er das Üben in letzter Zeit nicht mehr ernst genug genommen hatte. Wenn man ständig gesagt bekam, wunder wie begabt man sei, neigte man eben dazu, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Vielleicht war Hiruyokis ganzes Geheimnis, dass er fünfmal so lange und so hart übte? Biss hatte er jedenfalls, das war in jeder Note zu spüren gewesen.
     
    Und Üben konnte Wunder bewirken, das hatte Wolfgang oft genug selbst erlebt. Gerade wenn man nicht aufhörte, sobald man etwas halbwegs beherrschte, sondern es gerade dann, mit eher zu viel Präzision als zu wenig, wieder und wieder durchging, war es oft, als öffne sich eine Tür, von der man nicht einmal gewusst hatte, dass sie da war.
     
    Vor der letzten Stunde – Religion – packte Cem hochbefriedigt seine Tasche und meinte: »Tja, wenigstens Allah meint es gut mit mir. Ich denk an dich, wenn ich zu Hause auf der Couch liege.«
    »Neid!«, grummelte Wolfgang. Das baden-württembergische Kultusministerium lag seit Monaten mal wieder wegen irgendwelcher Formalien mit den islamischen Kulturverbänden im Clinch, und solange fiel der islamische Religionsunterricht im Lande aus.
    »Aber wir könnten uns heute Nachmittag treffen«, schlug Cem vor. »Freibad oder so.«
    Wolfgang schüttelte den Kopf. »Ich muss Cello üben. Bin im Rückstand.«
    »Na, wenn das so ist.« Cem schulterte seine Tasche und wandte sich zum Gehen. »Dann viel Spaß noch.«
    Sein Grinsen war schon fast unverschämt.
    Und so ging es noch einmal eine Stunde lang um Klone, um Gentechnik, die Vermessenheit des Menschen, den Turmbau zu Babel und so weiter und so fort. Herr Glatz, der mit Vornamen Friedhelm hieß, konnte sich bei derlei Anlässen prachtvoll aufregen. Er pflegte rot anzulaufen, bis ihm der Schweiß auf der Stirn stand, und in endlosem Monolog querfeldein zu galoppieren, von einem Thema zum nächsten, was ihm eben so in den Sinn kam. Dabei tigerte er unruhig durch die Tischreihen. Wenn man nicht gerade unter der Bank Karten spielte, konnte man mehr oder weniger tun, was man wollte: Der rote Kopf hieß, dass er bis zum Ende der Stunde keine Fragen stellen würde.
    Wolfgang sinnierte darüber, was an seinem Übungsprogramm zu verbessern war. Er konnte sich jede Woche zusätzlich zu dem, was ihm sein Lehrer aufgab, eines der Stücke vornehmen, die er schon beherrschte. Es täglich mehrmals spielen und auf besondere Präzision achten. Sich mit dem Tonband kontrollieren. Am besten, er begann mit Bach. Das Präludium der c-Moll-Suite, genau. Gleich heute Nachmittag.
    Er sinnierte auch noch, als die Schule aus war und er sein Fahrrad gemächlich die bergan führenden Gassen hochschob.
    Den Mann, der ihm folgte und ihn verstohlen fotografierte, bemerkte er nicht.
    #
     
    Nach dem Mittagessen ging Wolfgang in das Arbeitszimmer seines Vaters, um Aufnahmen der c-Moll-Suite zu suchen. Das durfte er. Der Schreibtisch war unantastbar, das gegenüber der gewaltigen Stereoanlage aufgebaute Dirigentenpult, auf dem immer eine Partitur und ein Stock lagen, heilig, doch sich nach Lust und Laune aus den CDs und Kassetten zu bedienen war Wolfgang ausdrücklich erlaubt, solange er sie regelmäßig zurückbrachte und wieder an der richtigen Stelle einsortierte.
     
    Vaters Arbeitszimmer war ein großer, düsterer, eigenartig leblos wirkender Raum. Zwei dichte Tannen vor dem Fenster ließen wenig Licht herein, und die wertvollen alten Möbel aus dunkler Eiche, die noch aus der Praxis von Großvater stammten, den Wolfgang nie kennen gelernt hatte, heiterten das Ganze auch nicht gerade auf. Auf dem Schreibtisch türmten sich Akten, die meisten
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