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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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amüsiere sich über die Vermessenheit, es einem solchen Virtuosen gleichtun zu wollen.
     
    Es sah alles so… leicht aus! Wolfgang sah dem Japaner fassungslos zu. Er war konzentriert, gewiss, aber die Finger seiner Griffhand bewegten sich selbst bei schnellen Passagen so sicher, dass man den Eindruck hatte, er hätte das Stück locker doppelt so schnell spielen können und trotzdem fehle r frei. Fehler? Hiruyoki Matsumoto schien überhaupt nicht zu wissen, was das war.
     
    Irgendwann im Lauf des Abends – die Erde hatte ihn immer noch nicht verschluckt, der Schweiß tropfte aus seinem Hemd, aber immerhin noch nicht aus dem Stuhl, auf dem er saß, und noch niemand hatte mit dem Finger auf ihn gezeigt und laut aufgelacht – sagte Wolfgang sich, dass heute Abend zumindest eine Frage beantwortet worden war, die er seit langem mit sich herumgetragen hatte: die Frage nach dem wahren Maß seines Talents.
    Er war bis zu einem gewissen Grad talentiert, zweifellos. Ein einziges Vorspiel vor der Musiklehrerin in der fünften Klasse hatte ausgereicht, ihn auf die Eins in Musik zu abonnieren, fast unabhängig von seinen sonstigen Leistungen im Unterricht. Er beherrschte viele Stücke der klassischen Cello-Literatur und hätte in einem Streichquartett mitspielen können, ohne sich zu blamieren.
    Aber von der Meisterschaft und Leichtigkeit, die er da oben auf der Bühne sah, trennte ihn mehr als nur Übung. Zwischen ihm und Hiruyoki klaffte ein unüberbrückbarer Abgrund.
    Er war froh, als es endlich vorbei war. Er klatschte, wie alle anderen auch, und hatte dabei das Gefühl, zwei nasse Säcke gegeneinander zu schlagen. Beim Hinausgehen bewegte er sich steif wie ein Stock, weil ihm das Hemd auf der Haut klebte. Als sie hinaustraten in den Abend, eine frische Mainacht, fröstelte ihn.
    »Das war wunderbar, nicht wahr?«, meinte Vater mit unerträglich guter Laune. Und Mutter pflichtete ihm bei! Wolfgang schwieg und verfluchte jeden Meter Weges bis zum Parkplatz.
    »Und?«, sagte Vater, als sie den Wagen erreicht hatten, und sah ihn an. »Habe ich zu viel versprochen?« Wolfgang war zum Umfallen elend. »Nein«, stieß er hervor und schlang die Arme um sich.
    »Eines Tages«, prophezeite Vater, den Autoschlüssel in der Hand, »werden wir hierher zurückkommen, und es wird genauso sein wie heute. Nur mit dem Unterschied, dass auf den Plakaten dort drüben der Name Wolfgang Wedeberg stehen wird.«
     
    Nie im Leben, dachte Wolfgang, aber er brachte es nicht fertig, das zu sagen. Stattdessen bat er: »Können wir einste i gen? Mir ist kalt.«
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    Kapitel 2
     
    Das Gymnasium von Schirntal war ein klotziger Altbau mit hohen, in gelbem Sandstein eingefassten Fenstern. In der sechsten Klasse pflegte der Erdkundelehrer die Fenster zu öffnen und zu fragen: »Aus welchem Gestein bestehen die Hochlagen des Schwarzwalds? Aus Buntsandstein, Leute.« Dann klopfte er gegen die Umfassung und wiederholte: »Buntsandstein. Das hier, Leute. Gibt es, wie der Name sagt, in verschiedenen Farben, und das hier ist, wie man unschwer sieht, der gelbe.« Aus demselben gelben Buntsandstein war der hohe Portalbogen über dem Haupteingang gemeißelt, in dem groß »OBERSCHULE« eingraviert stand. Die blecherne Laterne, die daneben hing, stammte zweifellos auch noch aus Zeiten, als man »Oberschule« gesagt hatte statt »Gymnasium«.
     
    Morgens herrschte auf dem Platz vor der Schule großer Auftrieb. Eigentlich war es kein Vorplatz, sondern die Zufahrt zum Lehrerparkplatz hinter dem Haus, aber von kurz nach sieben an hielten die Schulbusse aus den umliegenden Gemeinden und spuckten Massen von Schülern aus, die anschließend in dichten Trauben auf dem vielfach geflickten Kopfsteinpflaster herumstanden und die Autos der Lehrer eher widerwillig passieren ließen. Nur die, die noch Hausaufgaben abzuschreiben hatten, begaben sich früher als unbedingt erforderlich in die Klassenzimmer.
    Wolfgang kam an diesem Morgen verstimmt an. Und als Erstes von Cem begrüßt zu werden, seinem mit einer unverwüstlichen, geradezu waffenscheinpflichtigen guten Laune gesegneten Sitznachbarn und besten Freund, machte es nicht besser. »Mann, machst du ein Gesicht«, meinte der mit herausforderndem Grinsen.
     
    »Dabei haben wir in zwei Wochen Ferien, und außerdem: Lass dir nichts anmerken, aber jetzt, in diesem Augenblick, sieht sie zu dir herüber, ich schwöre es!«
    »Was? Ehrlich?« Wolfgang drehte den Kopf, bis er sie entdeckt hatte. Svenja. Sie stand mit
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