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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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ein paar anderen Mä d chen aus der Parallelklasse zusammen und sah natürlich nicht zu ihm herüber.
     
    »Na jetzt natürlich nicht mehr«, brummte Cem. »So wie du dich anstellst.«
    In der ersten Stunde hatten sie Biologie. Es herrschte immer noch, wie sich Cem ausdrückte, »Klonomanie«. Zwei Wochen zuvor nämlich hatte ein kubanischer Mediziner namens Frascuelo Aznar die Weltöffentlichkeit mit der Erklärung schockiert, vor sechzehn Jahren einen Menschen geklont zu haben, und zwar auf Initiative und in Zusammenarbeit mit einem deutschen Wissenschaftler, der gut bezahlt und keinen Namen genannt hatte. Seither kannten die Medien kein anderes Thema mehr als: Wer ist der Klon? Dass Aznar vor einigen Jahren bei einem schweren Laborunfall erblindet und demzufolge außer Stande war, seinen damaligen Partner auf Kongressfotos oder dergleichen zu identifizieren, machte die Sache nur noch spannender.
    Die Lehrerschaft des Gymnasiums Schirnberg jedenfalls war komplett dem Klon-Fieber verfallen. Jeder Lehrer bemühte sich, den offiziellen Lehrplan ignorierend, in seinem Unterricht irgendetwas zu behandeln, das zumindest entfernt mit dieser Affäre zu tun hatte. »Klonomanie« eben.
    Naturgemäß fiel das im Biologieunterricht am leichtesten. Das weite Feld der Zellteilung und Fortpflanzung bot überreichlich Gelegenheit zu Wiederholung und Vertiefung. Aber am Montagmorgen den Biosaal zu verdunkeln und endlos Dias von sich teilenden Zellen zu zeigen war schon heftig vom »Kittel«, wie Dr. Kistner wegen des stets um seine hagere Gestalt schlotternden weißen Laborkittels genannt wurde.
    »Du musst mal mit ihr reden«, meinte Cem, während der Kittel salbadernd mit dem Zeigestock über die Leinwand kratzte. »Sonst wird das nie was.«
    Wolfgang stierte düster auf das projizierte Bild, das eine von Samenzellen umlagerte Eizelle zeigte. »Das wird sowieso nie was. Schließlich hat sie schon 'nen Freund.«
    »Marco? Pah. Nur eine Frage der Zeit, bis sie von dem die Nase voll hat.«
    In diesem Moment durchschnitt die Lehrerstimme das allgemeine Gebrabbel. »Bardakci?«
    Cem fuhr hoch. »Ja?«
    Der Kittel musterte ihn mit spöttischem Funkeln in den Augen. »Gut geschlafen?«
    »Ähm, nein, überhaupt nicht. Ich… wenn Sie die Frage noch mal wiederholen könnten…?«
    »Ach, das würde die anderen doch nur langweilen. Wer weiß es? Steinmann?« Der Kittel redete Schüler grundsätzlich mit Nachnamen an.
    Marco spreizte den breiten Brustkorb. »Mitose ist die normale Zellteilung. Meiose dagegen ist die Reduktionsteilung, bei der Zellen mit einem haploiden Satz von Chromosomen entstehen, die man Gameten nennt oder auch Keimzellen.« Es klang gut auswendig gelernt.
    »Gut, Steinmann«, sagte der Kittel und klopfte mit dem Stock in seine Handfläche. »Ich hoffe, es ist sich jeder darüber im Klaren, dass das im Test drankommt. Du auch, Bardakci.«
    Cem murmelte etwas auf Türkisch, das man vermutlich in keinem Wörterbuch gefunden hätte.
    Rasselnd kam das nächste Dia. Es zeigte wieder eine Zelle, die für Wolfgangs Augen nicht anders aussah als das Dutzend Zellen davor. Er warf einen Blick zu Marco hinüber, der zufrieden vor sich hin grinste. Marco Steinmann war der Älteste in der Klasse und nicht nur groß und stark, er sah auch schon richtig männlich aus und war zu allem Überfluss verdammt gut in der Schule. »Weißt du«, raunte er Cem zu, »ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, was sie mit jemandem wie mir anfängt. Wenn man's genau nimmt, bin ich doch eher ein seltsamer Typ.«
    Cem hob die Augenbrauen. »Da will ich dir nicht widersprechen.«
     
    In der anschließenden Doppelstunde Englisch lasen sie sich mühsam weiter durch Ernest Hemingways The Old Man And The Sea aus keinem anderen Grund als dem, dass es von einem armen kubanischen Fischer handelte und Hemingway es während seiner Zeit auf Kuba geschrieben hatte. Die G e schichtslehrerin schließlich ließ unter allgemeinem Stöhnen noch einmal das Video laufen, das vor zwei Wochen erstmals in den Tagesthemen ausgestrahlt worden war und den ganzen Rummel ausgelöst hatte und das sie mittlerweile zum Erbr e chen oft gesehen hatten. Es zeigte einen dürren Mann mit Sonnenbrille, der in einem Rollstuhl vor einer sonne n durchgluteten, weitläufigen alten Hafenanlage saß und mit krächzender Stimme seine Geschichte zum Besten gab.
    »Stoppen wir einmal hier«, sagte Frau Pohl und drückte die Pausentaste, sodass ein zitterndes Bild auf dem Schirm verharrte.
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