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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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bemerkt.«
    Das Konzert fand in einem richtigen, prächtig anzuschauenden Schloss statt. Sie schritten über weiche rote Teppiche, breite Treppen mit geschwungenen Marmorgeländern empor, durch große, hell erleuchtete Räume voller Stuck und Blattgold und festlich gekleideter Menschen. Junge Frauen in Dienstmädchentracht waren hinter langen, weiß gedeckten Tischen damit beschäftigt, Sektkelche eng an eng aufzustellen, und über das vielstimmige Gemurmel hinweg hörte man das Orchester stimmen, ein viel versprechendes disharmonisches Quietschen und Kratzen.
    Wolfgang sah von Zeit zu Zeit verstohlen zu seiner Mutter hin. An diesem Abend wirkte sie gelöst wie selten sonst, beinahe fröhlich. Und sie war schön, fand er, in dem dunklen Abendkleid mit ihrem langen, glänzend schwarzen Haar und der schlichten Perlenkette um den Hals. Mutter war einmal Konzertsängerin gewesen, hatte Musik studiert und ein Engagement an einem kleinen Haus in Berlin gehabt, als sie Vater kennen lernte und auch noch einige Zeit danach. Obwohl sie es bestritt, vermutete Wolfgang, dass sie es bisweilen bedauerte, das alles aufgegeben zu haben, als er schließlich auf die Welt gekommen war.
    Vater sah Ehrfurcht gebietend aus in seinem Smoking, nicht wie ein Zuhörer, sondern beinahe wie der Dirigent persönlich. Er schaute voll grimmiger Erwartung drein, grüßte hin und wieder einen Bekannten mit ungeduldiger Beiläufigkeit und sagte, als der zweite Gong ertönte: »Es geht los. Lasst uns unsere Plätze suchen.«
    Würdige Männer in Roben beobachteten aus klobigen Bilderrahmen heraus, wie die Konzertbesucher sich durch lange Reihen gepolsterter Stühle drängelten, endlich nach und nach zum Sitzen kamen und wie, nach dem dritten Gong, die Gespräche verstummten. Ein Sprecher des Veranstalters begrüßte das Publikum, stellte den Dirigenten vor, wartete den höflichen Applaus ab, um endlich den Solo-Cellisten anzukündigen mit den Worten: »Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren – der neue Stern am Himmel der Musik… der junge Mann, den viele schon als den Pablo Casals des einundzwanzigsten Jahrhunderts bezeichnen… begrüßen Sie mit mir, aus dem Land der aufgehenden Sonne, Hiruyoki Matsumoto!«
    Applaus brandete auf wie eine Sturmflut. Auch Vater klatschte und nickte Wolfgang dabei verschwörerisch zu. Wolfgang klatschte nicht; er saß nur da und beobachtete den schmalen Jungen, der mit einem fast honigfarbenen Cello in der Hand die Bühne betrat und sich, unter mehrfachem tiefem Verbeugen, auf die Mitte zubewegte, zu seinem Platz zur Linken des Dirigentenpults.
    Wolfgang wurde heiß unter seinem Jackett. Die Vorstellung, dass er selbst einmal… und womöglich bald…! Atemberaubend. Und der Applaus wollte kein Ende nehmen. Auf eine verrückte Weise kam es ihm so vor, als gelte der Beifall bereits ihm, und er hatte das Gefühl, rot zu werden. Du meine Güte!
    Der Dirigent hob den Taktstock, um zu zeigen, dass es der Vorschusslorbeeren nun genug waren. »Schau gut hin«, raunte Vater, der unter den Letzten war, die noch klatschten.
    Gespannte Stille breitete sich aus. Das Vorspiel begann, zart hingehauchte Töne, eine Andeutung der Motive, die kommen sollten.
    Hiruyoki setzte den Bogen an, höchste Konzentration im Blick, wartete auf seinen Einsatz.
    Dann spielte der junge Japaner den ersten Ton. Und der traf Wolfgang wie ein elektrischer Schlag.
    Später an diesem Abend kehrte der Mann mit dem Vollbart in sein Hotelzimmer zurück, zog seine Jacke aus und hängte sie, nachdem er daran gerochen und angewidert das Gesicht verzogen hatte, über einen Kleiderbügel und diesen in das offene Fenster. Dann ließ er sich aufs Bett fallen, holte den Zettel aus der Tasche, den der Portier ihm überreicht hatte – jemand hatte seine Nummer hinterlassen –, nahm das Telefon vom Nachttisch und wählte. Als es in der Leitung tutete, legte er sich zurück und starrte an die Decke.
    Am anderen Ende wurde abgehoben. Jemand bellte:
    »Ja?«
    »Conti«, sagte der Mann auf dem Bett.
    »Tommaso!« Es klang wie eine Mischung aus Schrei und Seufzer. »Schalten Sie Ihr Handy eigentlich ab und zu ein? Ich versuche den ganzen Abend, Sie zu erreichen.«
    Der Mann mit dem Vollbart studierte das Muster der hellgelben Flecken an der Decke. »Nun, jetzt haben Sie mich erreicht.« Trotz seines fremdländischen Namens sprach er akzentfrei Deutsch.
    Ein Keuchen im Telefonhörer. »Verdammt noch mal, Tommaso, Sie tun so, als hätten wir alle Zeit der Welt!
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