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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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Steuer aufzuarbeiten, und dann können wir zu diesem Möbelhaus fahren, wenn du willst.«
    Mutter nickte überrascht. »Oh ja, gern.«
    Wolfgang wusste, dass Vater auf diese Weise zu signalisieren pflegte, wann er ein Gesprächsthema für erledigt hielt, aber er konnte sich einfach nicht mehr bremsen. »Wenn ich so sagenhaft talentiert bin«, hörte er seine Stimme unangemessen laut, »warum gehe ich dann auf eine hundsgewöhnliche Schule in einem Kaff am Ende der Welt? Warum habt ihr mich nicht wenigstens auf ein Musikinternat geschickt?«
    »Weil sie dir dort deine Kindheit geraubt hätten«, versetzte Vater ungehalten. »Das hätte doch im Nu die Runde gemacht. Wie die Geier wären sie aufgetaucht, diese Konzertveranstalter, die ihre Seele dafür verkaufen würden, mit einem vierzehn- oder dreizehnjährigen Cello-Solisten auf Welttournee zu gehen. Dass du danach ausgebrannt wärst und verloren für die Musik, kümmert solche Leute doch einen Dreck.«
     
    Wolfgang starrte seinen Vater an, spürte ein Brennen in den Augen. »Aber was kriege ich denn hier für eine Ausbi l dung? Unser Musiklehrer spielt Klavier wie ein Anfänger – verdammt, er muss aufs Etikett einer Platte schauen, um Rachmaninow zu erkennen! Zweimal die Woche eine Stunde bei Herrn Jegelin, das ist alles.«
     
    »Jegelin ist ein hervorragender Lehrer. Auch Frau Waller war eine hervorragende Lehrerin.« Vater machte eine unwirsche Handbewegung, wie um das Gespräch vom Tisch zu fegen. »Außerdem hast du genug Talent, um an der Musikhochschule aufzuholen, was dir fehlt. Du hast das Talent, verstehst du? Das ist es, was zählt.«
     
    Wolfgang ließ sich seufzend gegen die Stuhllehne sinken. Was tue ich eigentlich? Er starrte seinen Teller an und sah, dass er sein Brötchen während des Gesprächs in lauter kleine Fetzen geschnitten hatte, ohne es zu merken. Was rede ich? Ich will doch gar kein Solist werden. Das ist Vaters Traum, nicht me i ner.
     
    Mutter streckte die Hand aus, ein Stück weit, als wolle sie ihn am Arm fassen, aber dann blieb die Hand auf halbem Wege auf der tiefbraun glänzenden Tischplatte liegen. »Weißt du«, sagte sie leise, »ich glaube, für talentierte Menschen ist es normal, manchmal an sich zu zweifeln. Nur die Untalentierten zweifeln nie an sich.«
    Wolfgang sah sie an, nickte ohne wirkliche Überzeugung. Er musste an das c-Moll-Präludium denken, an dem er sich am Montag versucht hatte, und wie tot und leblos es geklungen hatte, wie von einem Musikautomaten gespielt. Ein würgendes Gefühl kroch seine Kehle hoch. All die Jahre, all die vielen Stunden des Übens… Wenn sein Talent nicht reichte für das, was er bis vor kurzem noch für seinen eigenen Wunsch gehalten hatte – was um alles in der Welt sollte er dann machen?
     
    Was will ich eigentlich?, fragte er sich. Doch da war nichts. Keine Antwort. Er wusste es nicht.
    #
     
    Die Schule zog sich endlos hin. Wolfgang durchlebte den Tag wie unter Narkose stehend. Trauriger Höhepunkt des Tages war, als sie kurz vor der großen Pause die Mathematikarbeit zurückbekamen und Wolfgang, der auf eine Zwei spekuliert hatte, nur eine Vier plus bekam. Lauter Flüchtigkeitsfehler, in praktisch jeder einzelnen Aufgabe. Zu allem Überfluss sagte der Mathelehrer, als es klingelte, auch noch: »Kann ich dich einen Moment sprechen, Wolfgang? Unter vier Augen?«
     
    »Jetzt reißt er dir den Kopf runter, amigo«, raunte Cem ihm im Hinausgehen wenig aufmunternd zu. Auch sonst schwirrten ein paar blöde Bemerkungen durch die Luft. Wol f gang hörte sie kaum. Er blieb einfach sitzen, bis endlich alles draußen und die Tür zugefallen war.
     
    Rittersbach räusperte sich, was in der ungewohnten Stille beunruhigend wirkte. Er war kein schlechter Lehrer. Er war ein ernsthafter Mann, an seinem Fach aufrichtig interessiert und meistens auch im Stande, zu vermitteln, worauf es ankam. Wolfgang interessierte sich einfach nicht besonders für Mathematik, aber dafür konnte der Lehrer schließlich nichts.
     
    »Ich habe gehört, du spielst Cello«, sagte Rittersbach. Fängt der auch noch davon an!, dachte Wolfgang entnervt. Er riss sich zusammen und nickte einfach. »Ja.«
    »Während meines Studiums war ich ein halbes Jahr in Ame rika, in Kalifornien«, erzählte der Lehrer. »Ich habe ein paar Wochen Praktikum bei einer Firma im berühmten Silicon Valley gemacht und dabei einen Spruch aufgeschnappt. Die besten Programmierer, sagt man dort, sind Musiker. Seltsam, oder? Mir kam es
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