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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Autoren: Andreas Eschbach
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zurecht, die er eher beiläufig durchblättert hatte. »Die Konzertkritik.«
     
    Das Rascheln des Papiers erfüllte das Esszimmer, in dem kaum mehr als der große, massive Mahagoni-Esstisch stand: noch so ein Erbstück von Vaters Eltern. Ohne weiteres hätten noch mindestens sechs Gäste daran Platz gefunden, wenn jemals welche zu Besuch gekommen wären.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Mutter leise.
    Wolfgang schmierte ohne großen Appetit an einer Brötchenhälfte herum. »Ja, ja«, machte er.
    Dass sie während der Woche gemeinsam frühstückten, war eine Seltenheit. Normalerweise ging Vater morgens vor halb sechs aus dem Haus und kam abends selten vor acht Uhr heim.
    »Gut«, sagte er, legte die Zeitung beiseite und goss sich Kaffee nach. »Eine gute Kritik. Wie nicht anders zu erwarten.«
    Wolfgang betrachtete die Butter auf der Klinge seines Messers und hatte plötzlich die Eingebung, dass dies der geeignete Moment war, etwas von dem zur Sprache zu bringen, was ihn beschäftigte.
    »Hiruyoki hat wirklich außerordentlich gut gespielt«, sagte er behutsam.
    »Ja«, nickte Vater. »Das hat er.«
    »Ein großes Talent.«
    »Und er macht etwas daraus. Darauf kommt es ja auch an.«
    »Ich glaube…«, begann Wolfgang, zögerte, holte Luft. Er sah seinen Vater an, der sorgsam Honig auf eine Brötchenhälfte rinnen ließ. »Am Sonntagabend hatte ich den Eindruck, dass… ich bei weitem nicht so talentiert bin wie Hiruyoki.« Nun war es heraus. Er spürte sein Herz plötzlich schlagen wie beim Tausendmeterlauf.
    Vater stellte den Honig zurück, schweigend. Warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Unsinn«, sagte er mit Bestimmtheit.
    »Ich kann nicht so spielen wie Hiruyoki«, erwiderte Wolfgang heftig. »Ich hab's probiert.«
    »Du bist mindestens so talentiert wie er, ohne jeden Zweifel«, sagte Vater. Es schien ihm lästig zu sein, darüber reden zu müssen.
    Wolfgang legte das Messer weg, musste den Impuls niederringen, es lautstark auf den Tisch zu knallen.
    »Wie kannst du das sagen? Ich bin's nicht.«
    »Ich weiß es mit absoluter Sicherheit.«
    »Wie denn? Woher willst du das wissen?«
    Vater hatte sein Honigbrötchen zum Mund führen wollen, aber nun legte er es wieder zurück, wechselte einen undefinierbaren Blick mit Mutter, faltete bedächtig die Hände und stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch. »Talent«, erklärte er mit erzwungen wirkender Ruhe, »liegt in den Genen. Man hat es, oder man hat es nicht. Und wenn man es nicht hat, kann man nichts daran ändern. Aber du hast es. Du bist mit Genen gesegnet, die dir das Zeug zu einem Cellisten von Weltrang geben, glaub mir.«
     
    Wolfgang schnappte nach Luft. »Hast du dir etwa meine Gene angeschaut oder was?« Er wusste natürlich, dass Gen a nalysen Vaters tägliche Arbeit waren, aber dabei handelte es sich um die Gene von Krebszellen! Die vielen Untersuchungen in der Klinik fielen ihm ein, früher, als kleines Kind. »Willst du mir jetzt erzählen, dass du bei mir ein Cello-Gen entdeckt hast?«
     
    »Das überstiege die Möglichkeiten der Genetik noch weit«, schüttelte Vater nachsichtig den Kopf. »Und sicher gibt es so etwas wie ein Cello-Gen auch nicht. Nein, dein Talent ist schlicht und einfach von einem der bedeutendsten Fachleute auf diesem Gebiet anerkannt worden. Dem deutschen Cello-Papst, sozusagen.«
    »Was?«, machte Wolfgang und hatte das Gefühl plötzlicher Leere im Kopf. »Davon weiß ich ja gar nichts.«
    »Richtig«, nickte Vater. »Davon weißt du nichts.«
    »Der deutsche Cello-Papst? Wer soll das sein? Und wann war das?«
    »Genug der Widerworte, junger Mann. Als ich so alt war wie du, hätte ich gerne eine musikalische Laufbahn eingeschlagen…«
    Wolfgang hatte Mühe, seine Augen daran zu hindern, sich zu verdrehen. Die alte Leier! Die Familientradition, die ein Medizinstudium gefordert hatte.
    »… aber im Gegensatz zu dir durfte ich das nicht. Mein Vater hat es mir verboten. Dabei war ich nicht unbegabt; mein Musiklehrer wollte mich sogar für ein Stipendium vorschlagen. Doch in der Familie war ein Medizinstudium üblich, also habe ich Medizin studiert. Ich finde, du kannst dich glücklich schätzen, Eltern zu haben, die auf deine Begabungen eingehen.« Vater widmete sich seinem Brötchen, sah dabei auf die Uhr und meinte, an Mutter gewandt: »Ab kommendem Montag haben wir übrigens alle Betten belegt; die nächste Woche wird mörderisch. Ich denke, ich nutze diese Tage, bleibe morgen Vormittag da, um ein paar Sachen für die
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