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Mord

Mord

Titel: Mord
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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Vorwort
    Vor Gericht landet manch unglaubliche Geschichte. Es wird dort viel gelogen, unter Tränen, lächelnd, mit unschuldsvoller Miene. Das Gericht aber soll die Wahrheit herausfinden, und dies gelingt erstaunlich oft: Wahr ist die wirklichkeitsgetreue Beschreibung, was passiert ist und wer was gemacht hat. Die Richter können auf Tatspuren und auf ein Heer von Helfern zurückgreifen, vor allem Polizisten, Zeugen, Anwälte, außerdem die speziellen Sachverständigen wie Rechtsmediziner, Spurendeuter, Rechtspsychologen. Und Fachärzte für Psychiatrie, die sich besonders mit der Seele und dem Verhalten von Straftätern befassen: forensische Psychiater.
    Wir sind Gehilfen der Wahrheitsfindung; im Gespräch versuchen wir Material zu gewinnen, um eine Lebensgeschichte zu rekonstruieren, die Geschichte der Beziehungen zu anderen Menschen, bisweilen auch die Krankheitsgeschichte. Wir werden als Kundschafter in ein fremdes Leben geschickt und sollen den Richtern Bericht erstatten über die Individuen, die – manchmal zur eigenen Überraschung – zu Straftätern wurden. Wir sollen möglichst nah herankommen an die historische Wahrheit, an das wirkliche Geschehen. So geht es denn um Geschichten aus der Wirklichkeit, nicht um Märchen, Sagen oder Legenden. Die Geschichten dieses Buches sind, soweit wir nicht getäuscht wurden, wirklich so passiert. Auch die unerwarteten und unwahrscheinlichen Geschehnisse und Personen sind nicht erfunden.
    Es ging mir aber nicht darum, die beteiligten Personen individuell kenntlich zu machen, deswegen habe ich das verändert, was eine Identifizierung erleichtern könnte, also Namen, Berufe, Orte und Landschaften. Es werden auch keine Geheimnisse ausgeplaudert, die in Therapien gewonnen wurden; keine Person dieses Buches wurde von mir psychiatrisch behandelt. Alle wesentlichen Tatsachen wurden in öffentlichen Gerichtsverhandlungen erörtert, meist vor einer Handvoll Zuhörern und einigen Gerichtsreporterinnen.
    Dies ist kein Lehrbuch. Forensische Psychiatrie interpretiert und bewertet den Lebenslauf, die Taten und die Wesensart eines Menschen im Hinblick auf konkrete Fragestellungen, auf seine strafrechtliche Verantwortlichkeit, seine künftige Gefährlichkeit, seine Behandelbarkeit. Darum geht es nicht in diesem Buch. Ich betrachte allein, wie die Dinge passiert sind. Das Ideal wäre, die wirkliche Geschichte herauszufinden,
the real story
, und dass es keiner Interpretation, keiner Deutung mehr bedarf, wenn man alles Wichtige wüsste, das zu dieser Geschichte gehört. Doch man muss sich stets mit Annäherungsversuchen bescheiden. Der Leser soll in Versuchung gebracht werden, die Geschichten zu deuten, zu erklären, wie alles so kommen musste; er soll aber merken, wie widerständig die Wirklichkeit ist mit all ihren Zufällen und Holzwegen.
    Es sind dies Geschichten vom Töten. Für einen einzelnen Menschen gibt es kaum eine andere Entscheidung, die so fundamental und unwiderruflich sein Leben verändert. Warum jemand diese Grenze überschreitet, einen Menschen zu töten, ist immer erneut ein Rätsel. Der Lösung, der Essenz dieser Tat kommen wir näher, wenn wir hören, was davor war, oder auch, was die Jahre danach geschah, wie das Leben nach dem Mord aussah. Keineswegs jeder kann einen Mord begehen, die meisten würden dies unter keinen Umständen tun. Gottlob gibt es für die meisten Menschen auch nicht den mindesten Grund zu töten, selbst wenn sie ab und an so manchem die Pest an den Hals gewünscht haben. Wir haben vielleicht viel an Wünschen, Gefühlen und Gedanken mit den Tätern gemein – doch regeln wir es schließlich anständig oder jemand befreit uns aus unseren Nöten. Aber wir sind aufmerksam für die, die sich anders entschieden haben. Und wir wissen etwas vom Schuldigwerden. Deswegen, so hoffe ich, möchten diese Geschichten erzählt werden. Geschichten aus der Verwandtschaft.

Reise in die Zukunft
    Alexander Witte machte sich Sorgen. Eigentlich machte er sich immer schon Sorgen, seit er verheiratet war und für das Wohlergehen der Familie verantwortlich. Er sorgte sich um seine Kinder, seine Frau. Um seine Geschwister und deren Familien. Um sich selbst, dass er nicht standhalten könnte. Das Leben war nicht leicht in Kasachstan, wohin es die Deutschstämmigen unter Stalin verschlagen hatte.
    Anderswo im weiten Russischen Reich wäre es wohl auch nicht einfach gewesen, aber dieser Gedanke half nicht weiter. Alles war unsicher in Kasachstan, vor allem die Zukunft;
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