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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition)
Autoren: Thilo Corzilius
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Präludium
    Worauf es sich zu warten lohnt
    In Wahrheit ist die Hoffnung ein wildes Tier, das sich ungezähmt und mit markerschütterndem Geschrei immer wieder gegen seine Gitterstäbe aus Vernunft wirft.
    Abwägen, lautet die magische Formel stets.
    Abwägen, worauf es sich zu warten lohnt und worauf nicht.
    Eine Übung, die niemals leichter wird – ganz gleich, wie viel Jahre jemand dafür auch aufwenden mag.
    Hinck war der Junge des örtlichen Gastwirtes. Hier an einem verschwindend kleinen Ort an der südlichen Küste des Ehernen Reiches auf dem großen Kontinent Dorn. Ein Ort, der niemanden interessierte und der wahrscheinlich auch in den nächsten hundert Jahren völlig uninteressant bleiben würde.
    Das Leben war beschaulich hier und … na ja, beschaulich eben. Es kam stets darauf an, den Spagat zu schaffen, zwischen jugendlichem Eifer und den Erwartungen der Alten. Überhaupt wurde Tradition hier groß geschrieben. Alles, was fremd war oder auch nur fremd schien, wurde misstrauisch beäugt.
    In Hincks Vorstellung konnte man auf einer Karte unendlich viele interessante und spannende Orte finden. Und der eine Ort, der am weitesten entfernt von ihnen allen lag, war hier. Hier, wo Hinck groß geworden war.
    Selbst die politischen Unruhen im Ehernen Reich, die sich über die vergangenen Monate erstreckt hatten, hatte man hier nur am Rande gespürt. Wenn überhaupt. Obwohl die angeblich so tief schneidenden Ereignisse mitunter gar nicht so weit entfernt stattgefunden hatten.
    Doch etwas war anders seit ein paar Tagen. Etwas war spannender, mysteriöser als zuvor und trug einen Hauch von Abenteuer mit sich.
    Es war der Gast, der sich seit einigen Tagen im Gasthaus seines Vaters eingemietet hatte. Kein gewöhnlicher Gast, soviel stand fest.
    Im Stall stand ein großer blasser Wallach von einer Pferderasse, die Hinck noch nie gesehen hatte. Ein stolzes Tier, beinahe erhaben. Das alleine war schon aufregend andersartig genug. Doch da war auch noch der Gast selbst.
    Hinck schätzte ihn auf irgendetwas um die dreißig Sommer, vielleicht etwas mehr, vielleicht auch etwas weniger. Er wirkte auf eine eigenartige Weise entrückt, obwohl er sich nicht so gab. Im Gegenteil, er war äußerst nett und zurückhaltend, trank nicht viel, war im Großen und Ganzen bescheiden. Vielleicht war er ein Adeliger? Schwierig einzuschätzen. Seine Haare gaben das auf jeden Fall nicht her. Die waren von einem satten Braun, leicht gelockt und derart widerspenstig, dass sie jeden Barbier in den Wahnsinn treiben mussten.
    Eine dünne Narbe zog sich über seine linke Augenbraue und über Teile der Wange – ob sie jedoch aus einer Schlacht (das war die abenteuerliche Variante) oder von einem einfachen Unfall herrührte, war nicht zu beantworten.
    Auffällig war auch seine Kleidung. Die war … irgendwie anders. Die Schnitte von Oberhemd und Hose passten nicht in diese Gegend. Wenn Hinck an Berichte von anderen Reisenden dachte, hätte er die Kleidung vermutlich am ehesten an einem Nordmann aus dem Harjenner Reich vermutet. Wulstige, große Nähte, die dennoch sauber in einem ungewöhnlichen Kreuzmuster verarbeitet waren. Grober Leinenstoff, der trotzdem sehr gründlich in dunklem Grün durchgefärbt war. Dazu trug der Fremde breite Stiefel mit einer Krempe aus Fell. Bequemes, aber auch sehr warmes Schuhwerk, das im sonnigen Herbst eigentlich noch nicht wirklich angemessen war.
    Quer über dem Rücken trug er stets ein Schwert in einer langen, dünnen Scheide, eben auf jene Weise, wie man solche Waffen auf der Reise transportierte. Niemals ließ er die Waffe unbeaufsichtigt – ihr Wert schien hoch zu sein, zumal Hinck ein derart schlankes Schwert noch nie zuvor gesehen hatte.
    Am Hals baumelte an einem silbernen Kettchen ein ebenso silberner Anhänger. Ein Symbol. Hinck hatte es noch nie gesehen und auch nicht im Entferntesten eine Ahnung, um was es sich handeln könnte.
    Geredet hatte er nur das Nötigste seit seiner Ankunft. Ab und an ging er an der Kaimauer spazieren oder auf den wenigen Straßen des Ortes.
    Das Eigenartigste aber war die Art und Weise, wie er stundenlang auf der Bank vor dem Gasthaus sitzen konnte und mit seinen tannengrünen Augen aufs Meer hinausblickte. Sein Blick dabei war nicht einzuschätzen – mal wirkte er versonnen, mal traurig, mal vollkommen leer. Ab und an ließ er sich von Hincks Vater einen Becher kalten Kräutertee bringen. Seltener lieh er sich das Königsturm-Spiel, stellte das Spielbrett vor sich
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