Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition)
Autoren: Thilo Corzilius
Vom Netzwerk:
durchkämmten.
    Und im Laufe eines langen Lebens hatte Bermert eine beträchtliche Sammlung angelegt.
    »Ach, der junge Hinck«, knarrte die Stimme des Alten im Türrahmen.
    Hinck hatte mehrmals forsch angeklopft und eine halbe Ewigkeit gewartet – immerhin war er für die fünf Meilen zum Nachbardorf eine Stunde lang stramm marschiert. Zwischenzeitlich hatte er sich ausgemalt, wie das Leben doch auf bittere Weise mit ihm spielen würde, wenn der alte Bermert ausgerechnet jetzt das Zeitliche gesegnet haben und auf der sonnenlosen Straße wandeln sollte. Schließlich bestand die Gefahr bei Leuten eines gewissen Alters quasi immerzu.
    Aber Bermert hatte ihm schließlich aufgemacht.
    »Was, kann ich für dich tun, Wirtsjunge?«
    »Guter Bermert«, sagte Hinck. »Wir haben seit einigen Tagen einen seltsamen Gast bei uns im Haus und … ich …«
    »Du bist neugierig, wer er ist?«, vollendete der Alte den Satz für ihn.
    Hinck nickte unbeholfen.
    »Und außerdem hegst du die Hoffnung, euer Gast könnte sich vielleicht in der Ahnengalerie meiner Sammlung befinden?«, fragte Bermert weiter, obwohl beide wussten, dass es eigentlich keine Frage war.
    »Na ja«, meinte Hinck. »Im Grunde ist es nur eine Idee. Es ist nur eine Vermutung, dass der Fremde aus Adelskreisen stammen könnte. Er trägt ein sicherlich teures Schwert mit sich herum …«
    Bermert rümpfte die Nase. »Das könnte er gestohlen haben.«
    »Ja, ich weiß«, sagte Hinck. »Aber er trägt außerdem einen seltsamen, silbernen Anhänger um den Hals …«
    »Den könnte er auch gestohlen haben.«
    »Aber er wirkt nicht wie ein Dieb«, warf Hinck ein.
    »Gerade das würde ihn ja zu einem guten Dieb machen«, grinste Bermert ein Grinsen, dem einige Zähne fehlten. Die kleinen Augen des ehemaligen Fischers strahlten Belustigung aus.
    »Er spielt das Königsturm-Spiel«, bedachte Hinck.
    »Dann könnte er also auch ein gelehriger und sehr neugieriger Wirtsjunge sein«, erwiderte Bermert amüsiert und zwinkerte erneut. Er spielte darauf an, dass er Hinck vor Jahren einmal das Königsturm-Spiel beigebracht hatte, was dieser seitdem ab und zu mit einem Gast auf der Durchreise spielte. Meist verlor er dabei kläglich.
    »Nein, nein, nein. Er spielt es mit sich selbst. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der das Königsturm-Spiel gegen sich selbst spielt. Ich wäre ja nicht einmal auf die Idee gekommen, dass man es auch mit sich selbst als Gegner spielen kann.«
    Bermert seufzte. »Kurzum, Junge«, brachte er es auf den Punkt. »Du möchtest gern einmal einen Blick auf die Ahnengalerie werfen. Sag das doch einfach!«
    Er stieß die Holztür weit auf, die zur Wohnung neben dem Tempel gehörte. Durch seine Lage direkt an den Mauern des Tempels, besaß das Häuschen des örtlichen Priesters den Luxus einer gemauerten Wand. Als Bermerts Arme noch ein wenig mehr Arbeitswillen hergegeben hatten, hatte er persönlich auch noch eine zweite gezogen. Der Stabilität halber, hatte er behauptet. Das war wohl nicht gelogen, denn die Behausung seines Vorgängers hatte vor einigen Jahren zugegebenermaßen schon ziemlich windschief ausgesehen. Und wenn im tiefen Herbst die Stürme von den Weiten des Golfs herüberzogen, konnte man nie sicher sein, dass alle Wände hielten, was sie im Sommer noch versprachen.
    Hinck duckte sich unter den Querbalken hinweg und ließ sich von Bermert durch die Unordnung der Wohnung bis in die Stube führen.
    Aha, dafür war die zweite Steinwand also auch gut, dachte Hinck, als er erspähte, wonach er suchte. Die sogenannte Ahnengalerie . Bermerts Sammlung kleiner Portraits und Bilder. Die meisten kaum größer als eine halbe Handfläche. Fein säuberlich mit selbstgezimmerten Holzrahmen umgeben. Dicke Wachsschnüre verbanden die Abbildungen untereinander, um Verwandtschaftsgrade anzuzeigen.
    »Da ist sie«, wies Bermert den Wirtsjungen mit einer weitläufigen Geste an. »Links beginnt es mit den hohen Adelshäusern, den Familien der Markgrafen. Je weiter nach rechts man kommt, desto unbedeutender werden die Adelsgeschlechter. Es gibt sogar manche, die kaum mehr Geld besitzen als wir Fischer hier im Dorf. Denen ist bloß noch ihr Name geblieben.«
    Die Sammlung war beeindruckend. Und obwohl die Qualität der Bilder sicher nicht die Beste war, konnte Hinck sich vorstellen, dass es den ehemaligen Fischer im Laufe der Jahre einige Erträge gekostet haben dürfte, seiner exzentrischen Freizeitbeschäftigung nachzugehen.
    »Noch weiter rechts findest du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher