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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Autoren: Jan Beinßen
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Fototermin nicht unnötig komplizieren würde. »Aber wenn ich mich recht erinnere, heißt es, dass Hauser auf diesem Platz wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. Passanten haben ihn entdeckt, wie er ziellos umherirrte«, kramte Paul sein lückenhaftes Wissen zusammen.
    »Das trifft es nicht ganz«, verbesserte ihn Henlein erneut. »Auf sein Auftauchen hatte es vorher durchaus schon Hinweise gegeben.«
    Paul setzte seine schwere Fototasche ab und lehnte sich an den Brunnen. »Und was für Hinweise waren das?«
    »1816 ist am Oberlauf des Rheins eine Flaschenpost angeschwemmt worden. Sie enthielt eine mysteriöse Nachricht mit einer scheinbar wirren Buchstabenanordnung. Damals konnte man in dieser Botschaft keinen tieferen Sinn erkennen. Manche hielten sie sogar für einen Scherz. Später sahen die Forscher in der Buchstabenfolge ein Anagramm.«
    »Ein was?«
    »Eine Art Buchstabendreher: Aus den vierzehn Buchstaben ergaben sich zwar etliche Kombinationsmöglichkeiten, aber nur sehr wenige sinnvolle. Eine lautete › Sein Sohn Kaspar ‹ .«
    Paul zuckte ein wenig ratlos die Schultern. »Aber wir leben hier an der Pegnitz und nicht am Rhein.«
    Henlein behielt seine freundliche Miene bei. »1828, also exakt zwölf Jahre nach dem Fund der Flaschenpost, tauchte hier am Unschlittplatz ein Junge mit dem gleichen Vornamen auf«, erzählte Henlein weiter.
    »Hauser«, folgerte Paul.
    Henlein nickte. »Ja, laut zeitgenössischer Augenzeugenberichte war er völlig kraftlos und erschöpft. Er konnte bloß noch stammeln. In den Händen hielt er eine ominöse Nachricht, ähnlich verwirrend wie die Flaschenpost zuvor.«
    Paul sah sich auf dem Platz um. Bei dem sommerlichen Getümmel konnte er sich die damalige Szenerie nur schwer vor Augen führen.
    »Die Leute brachten Hauser auf die Polizeiwache, wo versucht werden sollte, die Herkunft des Unbekannten zu klären«, schilderte Henlein. »Der Sonderling schien zwar allen Fragen genau zuzuhören, aber ihren Sinn verstand er anscheinend nicht. Jedenfalls blieb er stumm. Erst als man ihm die Hand führen wollte, damit er ein Kreuz unter das Polizeiprotokoll setzen sollte, ergriff er plötzlich doch noch die Initiative.«
    Paul meinte, in Henleins Augen einen Glanz zu erkennen, als er weitersprach. Das Thema begeisterte den Mann, daran bestand für Paul kein Zweifel:
    »Papier und Feder waren dem jungen Hauser nicht unbekannt – ziemlich ungewöhnlich für einen verwahrlosten Waisenknaben, oder?«, fragte Henlein. »Mit festem Druck des Stiftes und deutlich lesbar schrieb er einen Namen: Kaspar Hauser.«
    Damit beendete Henlein seinen Exkurs in die Vergangenheit, was Paul nun doch bedauerte. Denn Henlein war – vielleicht wegen seiner angenehm unaufdringlichen Stimme – ein Erzähltalent. Trotz seiner anfänglichen Ungeduld hätte Paul ihm gern länger zugehört.
    »Beginnen wir dann mit den Aufnahmen am Brunnen?«, schlug Paul vor.
    Es schien Henlein peinlich zu sein, Paul abermals verbessern zu müssen: »Das wäre geschichtlich aber überhaupt nicht korrekt.«
    »Wieso? War Hauser wasserscheu?«, versuchte Paul einen Witz.
    Henlein schüttelte nachsichtig den Kopf: »Das weiß ich nicht, aber der Dudelsackpfeiferbrunnen – beziehungsweise seine Kopie – steht erst seit 1946 an dieser Stelle.«
    Paul kam sich angesichts seines wenig vorbereiteten Auftretens verloren vor. Da er sich Henlein gegenüber, anscheinend ein Experte auf dem Gebiet der Stadtgeschichte, wohl kaum so bald in ein besseres Licht rücken konnte, spielte er lieber gleich mit offenen Karten: »Entschuldigen Sie, Herr Henlein. Ich bin sehr spontan für diesen Auftrag engagiert worden. Wie wäre es, wenn Sie einfach selbst einen Vorschlag für das Motiv machen und ich mich ums Fotografieren kümmere.«
    Henlein fegte Pauls Bedenken mit einer Bewegung aus dem Handgelenk beiseite: »Sie brauchen sich nicht bei mir zu entschuldigen. Ich bin ja froh, wenn sich jemand für das, was ich zu sagen habe, interessiert. Falls Sie mehr über Hauser erfahren möchten, fragen Sie mich. Nur zu! Und ansonsten fotografieren Sie mich einfach hier, mitten auf dem Platz! Damit legen wir uns nicht fest und können somit auch nichts falsch machen.«
    Also fing Paul an. Obwohl Henlein, wie er schon vermutet hatte, als Person nicht viel hergab, gelang es Paul, durch den wechselnden Einsatz eines Weitwinkel – und eines für Porträtaufnahmen besonders geeigneten, lichtstarken Fünfzig-Millimeter-Objektivs, sein Motiv wirkungsvoll in
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