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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Autoren: Jan Beinßen
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Verbrechen an der Person des Kaspar Hauser. Das waren widerrechtliche Gefangenhaltung, das Verbrechen der Aussetzung sowie besagte Verbrechen am Seelenleben.
    Paul versuchte sich den Charakter dieses engagierten Richters zu vergegenwärtigen, während er sich ein zeitgenössisches Porträtbild von ihm ansah. Durch seine hohen Ämter und seine adlige Herkunft geprägt, gehörte Ritter von Feuerbach zur Oberschicht und genoss die damit verbundenen Privilegien. Paul blickte auf das Bild eines wohlbeleibten Herrn im fortgeschrittenen Alter, mit seinerzeit modisch gewellten Haaren und Koteletten bis ans Kinn. Anselm Ritter von Feuerbach hüllte sich in Samt und Seide. Sicherlich trug er reichlich Duftwasser auf und rauchte in Männergesellschaft teure Zigarren, reimte sich Paul zusammen.
    Doch Feuerbach ließ sich durch gesellschaftliches Ansehen, Ruhm und Geld nicht korrumpieren, schloss Paul aus der Lektüre. Der Ritter blieb ein überzeugter Jurist – der Wahrheit verpflichtet. Er verfasste am 20. Dezember 1832 ein Memorandum an Königinwitwe Karoline von Bayern. In diesem Schriftstück versuchte er zu beweisen, dass Hauser niemand anderes sein konnte als der legitime Thronanwärter des Hauses von Baden.
    Abermals drohte Paul von der Müdigkeit übermannt zu werden. Sein Weizenglas war längst leer. Doch er hatte weder Lust noch Energie, um noch einmal in seine Küchenzeile zu gehen und sich nachzuschenken. Er zwang sich, sich auf die Seiten der eng beschriebenen Chronik zu konzentrieren:
    11. April 1833 – Hausers Todesjahr: Von Feuerbach reiste aus Ansbach zu seiner Schwester Rebecca nach Frankfurt am Main. Am 27. Mai kehrte er nach einem Abstecher in den Taunus krank nach Frankfurt zurück und starb zwei Tage später in einem Hotel.
    Paul richtete sich kerzengerade auf. Die Schläfrigkeit war für kurze Zeit wie weggeblasen, als er die nachfolgenden Zeilen las:
    Im Sterben liegend ordnete von Feuerbach seine eigene Obduktion an. Er glaubte, man hätte ihn vergiftet. Die Obduktion wurde durchgeführt. Das Protokoll darüber aber verschwand kurz darauf, ohne dass der Befund jemals an die Öffentlichkeit gelangt wäre.
    Paul war ganz sicher kein Mensch, der zu Verschwörungstheorien neigte, aber die Lektüre dieser Nacht ließ ihn zumindest misstrauisch werden. Er ging ins Badezimmer und streckte sich dann schläfrig neben Katinka aus. Sie quittierte das mit einem zufriedenen Seufzen.
    Paul schloss endlich die Augen. Doch seine Gedanken kamen nicht zur Ruhe: Im Geiste jonglierte er mit Namen und Fakten aus der Vergangenheit. Hauser, von Feuerbach . . .
    5
    Als Paul vom Klingeln seines Weckers wach wurde, musste er sich erst einmal orientieren: Er lag auf dem Sofa und die Sonne stand groß, rund und hell über dem Oberlicht des Ateliers. Paul schüttelte den Kopf. Der Wecker klang heute anders.
    Er streckte sich ausgiebig und gähnte. Ganz langsam wurde ihm klar, dass ihn nicht der Weckruf aus dem Schlaf gerissen hatte, sondern das Telefon. Er rieb sich die Augen, fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar und raffte sich auf.
    Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass Katinka nicht mehr da war. Verwirrt sah er sich um. Keine Spur von ihr.
    Das Telefon klingelte unbeirrt weiter. Vielleicht war es ja Katinka, überlegte Paul und suchte nach dem Apparat. Vielleicht rief sie vom Bäcker aus an und wollte wissen, welche Sorte Brötchen er haben wollte.
    Das Telefon steckte in der Ladestation auf dem Fensterbrett. Paul nahm ab und säuselte: »Na, Schatz, schon so früh auf den Beinen?«
    Am anderen Ende herrschte zunächst Schweigen. Dann meldete sich eine dünne Männerstimme: »Entschuldigen Sie, bin ich richtig verbunden mit dem Anschluss von Herrn Flemming?«
    Paul räusperte sich. »Ja, Verzeihung, ich hatte mit jemandem anderen gerechnet.«
    »Oh, das macht nichts. Henlein am Apparat. Sie wissen doch, der. . .«
    »Ja, selbstverständlich weiß ich, wer Sie sind«, beeilte sich Paul zu sagen. »Klappt etwas nicht mit unserer Verabredung?«
    »Doch, doch. Gerade deshalb rufe ich ja an. Ich wollte mich vergewissern, dass Sie wirklich kommen.«
    »Ja, ich werde da sein. Ich gehöre nicht zu der Sorte Mensch, die ihre Termine nicht einhält.«
    »Das habe ich nicht unterstellen wollen«, sagte Henlein peinlich berührt. »Aber unser Treffen in Ansbach liegt mir sehr am Herzen. Daher wollte ich ganz sicher gehen, dass . . .«
    »Wie gesagt: Sie können sich auf mich verlassen«, kürzte Paul die Sache ab. Nachdem Henlein
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