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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Autoren: Jan Beinßen
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»Ich habe ein ausgefülltes Leben, bin meistens zufrieden, stelle keine überbordenden Ansprüche an andere und komme alles in allem mit meinen Mitmenschen ganz gut zurecht. – Also?«
    »Also?«, gab Hannah die Frage zurück und schaute ihn sehr genau an. »Hören nicht allmählich auch Sie die Uhr ticken? Wann sind Sie das letzte Mal von einer wirklich attraktiven jungen Frau angemacht worden? – Ich meine: Sie scheiteln Ihr schwarzes Haar ja recht akkurat, aber an den Schläfen beginnt es grau zu werden«, stichelte sie. »Und Ihr Dreitagebart hat allmählich mehr von Alzheimer anstatt von Coolness.«
    »Danke, sehr nett von dir«, sagte Paul bitter. »Ich bin fit und nehme es mit meinen Altersgenossen und so manchem Jüngeren locker auf.«
    Hannah sah ihn mehr als zweifelnd an: »Klar, auch mit knapp vierzig kann man noch wie zwanzig sein – aber höchstens eine halbe Stunde am Tag. – Mensch, Flemming: Wovor haben Sie Angst? Reife heißt ja nicht, den Schwung zu verlieren und die Power, die Neugier und die Spontaneität!«
    »Das ist aber großzügig von dir, dass du mir wenigstens einen Restposten an Vitalität zugestehst.«
    Hannah wirkte mit einem Mal merkwürdig mild und verwundbar: »Mama liebt Sie. Wenn Sie sie verletzen, verletzen Sie auch mich.«
    Paul öffnete den Mund, bekam aber keinen Ton heraus. Er spürte, wie sich ein dicker Kloß in seinem Hals festsetzte, als er sah, dass Hannah eine Träne die Wange hinunterlief.
    Er zog sie zu sich heran und nahm sie fest in den Arm. »Entschuldige«, stammelte er. »Ich wollte ganz sicher nicht auf deinen Gefühlen herumtrampeln.«
    »Jaja«, schluchzte Hannah. »Sie sind nun einmal so, wie Sie sind: Ihre ganz persönliche Eigenheit liegt in dem beharrlichen Bestreben, nicht erwachsen werden zu wollen. – Was werden Sie Mama nun sagen?«
    »Ich weiß es noch nicht«, sagte Paul nachdenklich. »Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung.«
    6
    Ein feiner Regen hatte eingesetzt. Paul stand vorm Markgrafenmuseum in Ansbach und dachte darüber nach, ob er hineingehen und sich die Hauser-Abteilung ansehen sollte. Einen Blick auf die berühmten blutverschmierten Beinkleider werfen, auf Hausers samtenen Gehrock und seinen Zylinder oder die vielen Zeichnungen und Skizzen, die er hinterlassen hatte.
    Von der gegenüberliegenden Straßenseite drang ausgelassenes Gelächter von Gästen der Museums-Stube an sein Ohr. Paul blickte auf die Uhr. Zwar war er viel zu früh in Ansbach eingetroffen, da er den Verkehr auf der B14 überschätzt hatte und dementsprechend vorzeitig in Nürnberg aufgebrochen war. Aber für einen Museumsbesuch würde sein Zeitpuffer nicht mehr reichen.
    Also verließ Paul den Platz gegenüber der imposanten St. Johannis-Kirche und schlenderte über den sonntäglich verschlafenen Martin-Luther-Platz in Richtung Schloss und Hofgarten.
    Das Schloss mit seiner ebenso strengen wie herrschaftlichen Fassade beeindruckte ihn jedesmal aufs Neue, wenn er – was zugegebenermaßen selten der Fall war – die Residenzstadt besuchte. Als er die mehrspurige Promenade hinüber zum Hofgarten überquerte und sich über die kurze Grünphase für Fußgänger ärgerte, rutschte er beinahe aus. Auf dem Kopfsteinpflaster der Straße lag das erste frühherbstliche Laub, und durch den Sprühregen war der Boden gefährlich glatt geworden.
    Wieder schaute er auf die Uhr; noch immer lag er gut in der Zeit. Dennoch ging er nun zügig an der ockergelben Kulisse der Orangerie vorbei, vor der in Reih und Glied aufgestellte Palmentöpfe auf ihren Umzug ins Winterquartier warteten. Trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit standen die Beete der Parkanlage noch in voller Blüte. Paul freute sich über den bunten Anblick, der einen den Winter in weiter Ferne wähnen ließ. Dann ging er auf den bewaldeten Teil des Parks zu.
    Er wusste von einem früheren Besuch, welchen Weg er zum Kaspar-Hauser-Denkmal nehmen musste. Die Baumkronen, die in Farbschattierungen zwischen kräftigem Grün, Rot und Gelb variierten, schirmten das Licht ab. Als Paul das schlichte steinerne Monument zu Ehren des berühmten Bürgers der Stadt erreicht hatte, mischte sich etwas Unheimliches in die bis eben so friedfertige Stimmung. Der Stein mit der eingemeißelten lateinischen Inschrift war mit grünem Moos überzogen. Durch die Büsche rings um das Denkmal wehte ein frischer Wind. Er wirbelte eine Ansammlung Blätter vom Sockel und wehte sie gegen Pauls Hosenbeine. Paul fröstelte, als er das ebenfalls in Latein
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