Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben
Autoren: Katrin Stehle
Vom Netzwerk:
Oma.«
    Ich starre ihn an.
    »War ganz einfach.« Wieder dieses Lächeln.
    »Aber er hätte tot sein können!« Meine Stimme quietscht, überschlägt sich beinahe.
    Ralf zuckt die Achseln. »Vielleicht wäre mit ihm auch ein Stück der Schuld verloren gegangen. Vielleicht hätte ich dann nicht mehr beim Küssen deiner Lippen an ihn denken müssen. Nicht mehr ständig diese Bilder von euch beiden im Kopf.« Er schüttelt sich angeekelt.
    »Aber warum mein Schal?«
    »Und deine Haare«, ergänzt er beinahe fröhlich. »Du bist verrückt, Süße. Eine Weile werden sie dich sicher behalten. Aber ich werde da sein für dich, dich besuchen. Du bist nicht allein.«
    Ich verstehe überhaupt nichts mehr.
    Aber vielleicht ist das auch gar nicht möglich.
    Vielleicht bin ich die Ratte. Die, auf die er einsticht. Nur nicht sterben, denke ich, alles andere ist erst mal egal.
    »Schau nicht so ängstlich. Es ist ein wenig wie Ferien dort«, meint er, »die Leute gehen anders miteinander um. Und deine Familie wird daran zerbrechen. Damit tue ich euch allen dreien einen Gefallen.«
    Ich beiße mir auf die Lippe. Wahrscheinlich nur, um nicht loszuschreien.
    Meinen Schal. Ausgerechnet den von Oma. Sie hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt im letzten Jahrund es war immer, als wäre ich von einer Art Schutzzauber umgeben, wenn ich ihn getragen habe. Ich habe mich wohl getäuscht.
    »Na dann, meine Schöne, muss ich mal zur Schule. Alles muss sein wie immer.« Er küsst mir aufs Haar. »Igitt, du stinkst«, sagt er dann und steht auf.
    Und irgendwas in mir brennt durch.
    Ich kann nicht hierbleiben mit der toten Ratte, eingeweicht in Kotze, während David vielleicht stirbt.
    Mit ein paar Schritten bin ich bei der Tür, dicht hinter ihm.
    Und ich kämpfe, kratze, trete, versuche zu beißen.
    »Benimm dich«, stöhnt er, »sonst gibt's keine Kerze mehr.«
    Ich trete ein letztes Mal und er knallt die Tür zu.
    Mein Ärmel bleibt hängen.
    Ein Stück draußen, eines drinnen.
    Von hier aus meine ich die tote Ratte in ihrer Falle sehen zu können.
    Ich muss hier weg. Ich zerre fester und fester.
    Mein Ärmel zerreißt. Ein ganzes Stück bleibt in der Tür hängen.
    Ich taumle zurück auf die Luftmatratze.
    Als ich mich hinsetze, berührt mein Po den Steinboden.
    Wahrscheinlich hat die Matratze ein Loch.
    Ich weiß nicht, wie lange ich hier sitze. Mit den Augen die Steine an der Wand zu Figuren verbinde, kleine Tiere aus heißem Wachs forme. Die Zeit läuft anders, hat ihre Bedeutung verloren.
    Schließlich wieder ein Lichtstreifen.
    Ich starre auf die Tür.
    Die Klinke bewegt sich.
    Aber die Tür bleibt verschlossen.
    Einen Moment lang habe ich das Gefühl, dass sich mein eingeklemmter Pulloverfetzen bewegt, dann segelt er zu Boden. Oder eigentlich nur ein Stück von ihm.
    Ich starre zur Tür. Halte die Luft an. Zeit vergeht.
    Und schließlich bewegt sich die Klinke.
    Etwas in meiner Brust macht einen Satz. Ich atme schnell, hastig. Vielleicht wird mich gleich jemand finden.
    Aber es ist doch nur wieder Ralf.
    Ralf, der achtlos über den Pulloverfetzen trampelt.
    »Habe ich vergessen, das Licht draußen auszumachen?«, fragt er. »War es die ganze Zeit an?«
    Mein Herz klopft laut, dröhnt. Ich habe Angst, er könnte es hören. Also war doch jemand anders da. Jemand, der ein Stück meines Pullovers entdeckt hat. Jemand, der die Tür nicht öffnen konnte, weil er keinen Schlüssel hat.
    »Ja«, sage ich und meine Stimme zittert nur ein kleines bisschen.
    »Hier, was zu essen«, sagt er und wirft eine Brezel in meine Richtung.
    Beinahe fällt sie in die Kotze.
    »Ich habe keine Zeit. Muss die Beweiskette vollenden. Bald gibt es keinen Zweifel mehr, dass du hinter den Filmen steckst, war gar nicht so einfach, die auf deine Festplatte zu bekommen, musste wirklich ein handfester Virus gebastelt werden. Accounts knacken und übernehmen ist ja ein Kinderspiel, aber dafür braucht man einen wahren Meister.« Er klingt wahnsinnig stolz, seine Stimme überschlägt sich fast, wird dann wieder kalt, als er sagt: »Ich komme vorbei, wenn ich fertig bin. Dann können wir unser Gespräch fortführen.«
    Zum Glück geht er gleich wieder.
    Dann muss ich nichts sagen, traue meiner Stimme nicht.
    Habe Angst, dass er die Hoffnung spürt. Ich bin wieder allein.
    Und ich warte. Presse beide Daumen fest in meinen Fäusten.
    Der Lichtstreifen verschwindet.
    Es scheint eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis der Lichtstreifen wieder erscheint.
    Die Klinke bewegt sich.
    Ralf,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher