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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben
Autoren: Katrin Stehle
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wird alles klar.
    Ich sitze hier in diesem Keller fest und bin ihm ausgeliefert. Ralf, der anscheinend noch viel verrückter ist als meine Tante, und gefährlicher. Sie redet vielleicht von Gott und ist nicht mehr wirklich hier bei uns. Aber er lebt in einer Parallelwelt, in der er selbst Gott ist und über andere richtet und herrscht.
    Er hat mein Leben zerstört, hat dafür gesorgt, dass niemand mir mehr glaubt, niemand mich mehr mag. Ich bin vollkommen allein und in seiner Hand. Er könnte mich für immer hierlassen, wo ich verhungere oder verdurste oder völlig wahnsinnig werde. Ich kratze auf dem Steinboden herum und fühle doch nichts. Ich bin tot, alles in mir ist tot.
    Ich lasse mich auf die Matratze sinken.
    Ich sehe mir zu, wie ich auf einen Stuhl steige und mir eine Schlinge um den Hals lege. Mit dem Fuß stoße ich den Stuhl um, die Schlinge zieht sich zu, zieht sich fest um meinen Hals. Ich taumle, schaukle sanft hin und her. Es wird dunkel und ich gleite davon, zu den Sternen. »Denkste«, sagt plötzlich eineStimme und der Druck lässt nach. Statt Sternen sind da Ralfs Augen, direkt vor meinen. »Du gehörst mir«, sagt er.
    Die Brücke ist hoch, unten tost ein Fluss. Ein riesiger Wasserfall, umgeben von Felsen. Ich schwinge mich auf das Eisengeländer, balanciere, breite die Arme aus und springe. Luftzug. Und dann schnelle ich zurück, wie an einem Bungee-Seil, lande direkt in seinen Armen, weiß es, bevor ich mich umdrehe. »Ich habe dir doch gesagt, dass du mir gehörst.«
    Ich schrecke hoch. Pochen in meinen Ohren. Vermutlich mein eigenes Herz. Meine Kehle ist trocken und rau. Ich nehme, ohne zu denken, die Wasserflasche, schütte Wasser in meinen Mund. Es ist mir egal, dass ein Teil an meinen Mundwinkeln wieder hinausläuft.
    Die Kerze ist ein gutes Stück kürzer geworden.
    Ich will nicht sterben. Aber Ralf gehöre ich auch nicht.
    Anders, denke ich. Es muss anders gehen. Ich muss mich auf den Moment verlassen, darauf, dass mir etwas einfällt, wenn es dann so weit ist, wenn er direkt vor mir steht. Aber jetzt und hier darf ich nicht mehr denken und vor allem nicht mehr träumen, nicht mehr einschlafen.
    Filme. Ich denke an all die Filme, die ich in letzterZeit gesehen habe, und lasse sie vor meinem inneren Auge ablaufen. Das ist gar nicht so einfach. Ich muss mich konzentrieren, immer wieder zusammenreißen, wenn ich müde werde, wenn meine Gedanken sich selbstständig machen …
    Und plötzlich steht er wieder da. Tritt direkt vor die Kerze und ich schreie auf, weil ich ihn nicht habe kommen sehen, kommen hören.
    »Das war nur ein Beispiel von vielen«, sagt er. »Da war dieses Gartenfest beim Vierzigsten meiner Mutter vor zwei Jahren. Ewig, ewig habe ich dir zugesehen und endlich habe ich mich getraut, bin auf dich zugegangen, um mit dir zu tanzen. Und was machst du? Siehst mich kommen und drehst dich schnell um, gehst einfach weg.«
    »Ich habe dich nicht gesehen«, behaupte ich.
    Er merkt anscheinend, dass das gelogen ist.
    »Lüg nicht!« Er packt mich fest am Arm. »Du hast auch nie mit Clara über mich gelästert oder mit der Clique über mich gelacht!«
    Mein Arm fühlt sich an, als würde er in einem Schraubstock stecken. Ich höre, dass ich leise zu wimmern angefangen habe.
    Sein Griff lockert sich ein bisschen. Er setzt sich dicht neben mich. Viel zu dicht. Die Matratze gibt nach und ich rutsche in seine Richtung. »Allerdings weißt du natürlich auch nicht, was Liebe eigentlichist. Vielleicht hast du die Zeichen wirklich übersehen. Deine Eltern haben dich nie geliebt. Das kenne ich. Meine mich auch nicht. Sie wollten mich anfangs nicht, haben mich zu meiner Großmutter geschickt. Und die hat immer schon schlecht gehört, hat mich anfangs stundenlang allein weinen lassen.«
    Ich schlucke. Denke daran, dass meine Mutter mir erzählt hat, wie sie nachts neben mir gelegen hat, bis ich eingeschlafen war. Wie ich, wenn ich krank war, in ihrem Arm geschlafen habe. Wie sie und mein Vater Fallen gebaut haben, damit die Geister mich nicht kriegen. Wie mein Vater mich stolz überallhin im Tragetuch mitgenommen hat. Wie sogar meine große Schwester mich allen gezeigt und erklärt hat, dass ich das hübscheste Baby auf der ganzen Welt sei mit meiner Glatze und dem Doppelkinn.
    »Wir sind uns ähnlich, sind beide einsam, können uns in dieser Grundeinsamkeit begegnen«, behauptet er und ich merke, dass er meinen Arm noch immer festhält, anfängt, an ihm auf und ab zu streichen.
    Ich muss an
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