Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben
Autoren: Katrin Stehle
Vom Netzwerk:
dieses Spiel denken, das wir als Kinder mal lustig gefunden haben. Brennnessel hieß es. Man rieb den Arm des anderen, bis er brannte.
    »Allerdings lieben meine Eltern sich und deine nicht. Deshalb ist deine Störung noch tiefer«, behauptet er.
    Ich weiß wirklich nicht, ob meine Eltern sich lieben. Aber irgendwie wird es wohl so sein, auchwenn sie nicht ständig knutschen oder sich verliebt ansehen. Heute trennen sich Leute doch, wenn sie nicht mehr miteinander können, oder?
    »Ich habe mir als kleines Kind oft gewünscht, dass meine Mutter meine Frau ist, wenn sie mich bei den Großeltern besucht hat. Sie ist so wunderschön und unterstützt und bewundert meinen Vater, ist immer für ihn da ist, hört ihm immer zu …«
    Ich habe die Worte meiner Mutter über seine und Claras noch im Ohr. Dass diese ein abhängiges Gänschen ist, eine Art schmückendes Beiwerk ohne eigene Meinung, ohne Persönlichkeit. Ich fand das damals ziemlich gemein, dachte, sie ist vielleicht ein wenig neidisch, weil sie nicht so schön ist.
    »Dann habe ich erkannt, dass du das schönste Mädchen überhaupt bist. Obwohl du damals eine riesige Zahnlücke hattest.« Er sieht mich an, etwas Verträumtes in seinen Augen, Zärtlichkeit. Aber vielleicht liegt das auch nur an der Kerze.
    »Und ich wusste, du wirst irgendwann meine Frau.«
    Seine Lippen pressen sich auf meine. Hart und dann weich. Ich muss mitmachen, so tun, als ob, meine Chance nutzen, fordert mich eine Stimme in meinem Kopf auf. Mein Körper gehorcht. Und ich habe das Gefühl, zum ersten Mal in meinem Leben wirklich das zu sein, was er vor einigen Stunden zu mir gesagt hat: eine Hure. Weil ich ihn küsse, um hier rauszukommen, um frei zu sein.
    Endlich ist es vorbei.
    Er wischt sich den Mund ab, als wäre er plötzlich selbst angeekelt. Seine Augen sind wieder hart. »Da hast du gesehen, wie es hätte sein können, was hätte sein können. Wenn du nicht alles zerstört hättest. Mich nicht zerstört hättest.« Er springt auf und stößt dabei die Kerze um, die zischend ausgeht. Es ist mit einem Mal stockdunkel. »Ich kann das nicht ertragen«, sagt er.
    Stolpernde Schritte. Das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Sie fällt wieder zu. Er ist weg.
    Ich bin fast froh darüber.
    Mein Körper ist kein Teil mehr von mir.
    Und doch tasten meine Hände nach der Kerze, finden sie schließlich und stellen sie wieder auf. Heißes Wachs brennt auf meinen Händen.
    Das erste Streichholz zerbricht zwischen meinen Fingern. Das zweite flammt kurz auf. Mit dem dritten komme ich bis zum Docht, der abgebrochen ist und nicht brennen will. Ich benutze ein weiteres Streichholz, um mir dabei zu leuchten, wie ich mit dem Finger ein Loch rund um den Docht grabe. Der dann endlich angeht, brennt.
    Ich muss wohl wieder eingenickt sein. Diesmal zum Glück traumlos. Denn ich werde davon wach, wie mich etwas an der Schulter rüttelt.
    »Wie kannst du einfach so schlafen?«, fragt er wütend. Sein Gesicht dicht vor meinem.
    Etwas spritzt mir ins Gesicht, vermutlich spuckt er beim Reden.
    Ich sehe ihn einfach nur an. Blinzle.
    »Weißt du noch, dieses dumme Vieh, das du mal hattest?«
    Keine Ahnung, wovon er redet.
    »Meerschweinchen.« Wieder spritzt mir etwas ins Gesicht. »Eines der dämlichsten Tiere überhaupt.«
    Lolita. Ich habe jahrelang darum gebettelt, ein eigenes Tier zu bekommen, habe sogar bei den Nachbarn den Hasenstall gemistet und bin mit dem Hund meiner Oma noch vor dem Frühstück Gassi gegangen. Zum neunten Geburtstag war es dann endlich so weit. Ich bekam mein eigenes Meerschweinchen. Es war das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe.
    Und nach zwei Tagen war es fort. Der Stall am Morgen offen und von Lolita keine Spur. Mein Vater meinte, dass sie vermutlich vom Fuchs geholt worden war. Wobei ich mir nicht erklären konnte, wie der den Stall öffnen konnte. Ich war mir so sicher, ihn ordentlich zugemacht zu haben, als ich Lolita Gute Nacht sagte. Nur ein Blutfleck war noch im Stall, ein ziemlich großer sogar. Mir ist schlecht geworden, wie immer, wenn ich Blut sehe. Und meine Eltern fanden mich später, nachdem sie lange am gedeckten Frühstückstisch gewartet hatten, neben dem Stall auf der Wiese liegen. Das Gesicht verschmiert von Rotz und Tränen. Seitdem hatte ich nie mehr ein eigenes Tier, wollte nie mehr eins. Das wäre mir vorgekommen wie Verrat an Lolita.
    »Ich wusste gar nicht, wie viel so ein kleines Vieh bluten kann«, sagt er. »Ich musste mein T-Shirt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher