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Partnerschaft und Babykrise

Partnerschaft und Babykrise

Titel: Partnerschaft und Babykrise
Autoren: Wolfgang Schmidbauer
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dem ich diese tiefen Emotionen neu belebt habe, mich enttäuscht, mich verrät, plötzlich seinen Kurs ändert, sich an jemand anderen bindet.
    Die Natur hat, um die überlebensnotwendige Bindung zwischen Kind und Eltern zu stärken, eine hochbrisante Reaktion auf die Enttäuschung von Erwartungen an die Verlässlichkeit unserer Mitmenschen geschaffen. Wenn wir den schöpferischen Impuls der Evolution in Sprache setzen, lautet er etwa so: Wir müssen unser Selbstgefühl mit allen Mitteln schützen und Zeichen setzen, die andere davon abhalten, uns zu verletzen. Das soziale Problem liegt in der Selbstbezogenheit der narzisstischen Wut.
    Wenn ein Baby schreit, kommt die Mutter und stillt es. Wenn sie nicht kommt, steigert sich das Schreien und wirkt auf den Beobachter »wütend«. Kommt die Mutter zu spät, kann es sein, dass das Baby in die Brust beißt oder die Brust verweigert. Es »rächt« sich für die Versagung.
    Rache ist die extremste Kommunikation. Der Sinn der Aktion des Babys ist, der Mutter zu verdeutlichen, dass sie sich nicht verspäten darf. Ihr das möglichst eindrucksvoll zu vermitteln,
ist dem Nervensystem des Babys »wichtiger« als die Befriedigung von Durst und Hunger.
    Wenn die Mutter das versteht, wird die Entwicklung gut weitergehen; wenn sie aber mit Gegenkränkungen reagiert, absichtlich zu spät kommt oder die Brust verweigert, weil das Baby gebissen hat, entstehen Teufelskreise. »Die Brust ist böse, sie gibt mir nichts, ich muss sie mit den Zähnen festhalten« ist die eine Position; »Das Kind ist böse, es beißt, ich gebe ihm die Brust nicht mehr« die Gegenposition.
    Es scheint einfach, die Verstrickung zu lösen: Das Baby beißt nicht mehr, die Mutter kommt rechtzeitig. Aber wer fängt an? Den Teufelskreis zu verlassen bedeutet auch, auf eine vertraute Absicherung zu verzichten und das bekannte Übel gegen ein unbekanntes Risiko zu tauschen. In der Behandlung zerstrittener Paare gibt es ähnliche Probleme. »Ich würde nüchtern nach Hause kommen und freundlich mit dir reden, wenn du öfter mit mir schläfst«, sagt der Mann. »Ich würde öfter mit dir schlafen, wenn du nüchtern nach Hause kommst und freundlich mit mir redest«, sagt die Frau. Hier kennen sogar beide einen Ausweg. Aber jeder will sich die Erniedrigung ersparen, die im Eingeständnis der eigenen Abhängigkeit liegt.
    Unsere schnellen Affekte, Angst und Wut, machen Durchbruchsszenarien attraktiv und entwerten Nachgiebigkeit.
    Eine individualisierte Paarbeziehung verlangt mehr Flexibilität, als viele Menschen leisten können. Die Unnachgiebigkeit, welche in belasteten Beziehungen eine so große Rolle spielt, wurzelt im Alles-oder-nichts der archaischen Kampf-Flucht-Mechanismen.

    Der Mensch kann seine Ur-Affekte nicht loswerden, er kann bestenfalls lernen, sie durch Gegenkräfte zu steuern. Kollektive Steuerungen sind sehr viel sicherer als individuelle.
    In modernen Paaren werden die Kränkungen der symbiotischen Erwartung durch keine gemeinsame Tradition abgepuffert. Die Partner müssen ihre eigene Familientradition aus zwei oft sehr unterschiedlichen Ursprungsfamilien basteln. Sie müssen auch lernen, sich in ihrer Kränkungsverarbeitung zu unterstützen und nicht zu unterminieren. Das ist für ein Liebespaar schwer genug. Mit einem gemeinsamen Kind wird die Situation vollends unübersichtlich.

1.
DIE DAUERMÜDIGKEIT JUNGER ELTERN
    Der 42-jährige Florian ist Jurist und Vater von zwei Töchtern im Kindergartenalter. Er arbeitet in der Rechtsabteilung einer großen Privatbank. Seine Frau Betsy ist ein Jahr jünger. Sie hat ebenfalls Jura studiert, aber wegen der Kinder ihre Stelle gekündigt. Sie macht jetzt eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Sie engagiert sich sehr für Homöopathie, seit sie durch eine Behandlung mit Hochpotenzen von einem hartnäckigen Hautausschlag befreit wurde.
    »Wir sind mit unserer Ehe am Ende«, sagt Betsy. »Florian war ein aufgeweckter Kerl, ein richtiges Energiebündel, als wir uns kennenlernten. Und jetzt kommt er nach Hause und nölt, dass die Kinder so laut sind, er hat den ganzen Tag malocht, so viel Stress im Büro, er braucht seine Ruhe. Anfangs habe ich mich gefreut, wenn er nach Hause kam, ich dachte, er macht dann was mit den Kindern und ich kann mal in ein Buch schauen oder auf einen Kurs gehen. Aber dazu ist er viel zu müde.
    Also bringe ich die Kinder ins Bett, und – komisch, als ob er mich angesteckt hätte – ich bin dann auch todmüde, schlafe meist in einem der
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