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Partnerschaft und Babykrise

Partnerschaft und Babykrise

Titel: Partnerschaft und Babykrise
Autoren: Wolfgang Schmidbauer
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beginnt der Organismus sich selbst zu verzehren. Jetzt wird ein Schaden am Ganzen in Kauf genommen, um die Überlebenszeit zu verlängern.
    In unserem Selbstgefühl ist der explosive Narzissmus 28 mit jener Selbstschädigung des Ausgehungerten vergleichbar. Wenn ein Jugendlicher nicht mehr arbeitet, um die Raten für sein erstes Auto zu bezahlen, sondern »lieber« das Auto seines Nachbarn anzündet, hat ihn diese innere Katastrophe heimgesucht.
    In der Fähigkeit des Menschen, Dinge zu ertragen, die er eigentlich nicht ertragen kann, wurzelt das Elend der Prophylaxe. Sie wirkt im wenig Sichtbaren; sie arbeitet unter der Wasserlinie des Eisbergs. Wenn wir für ausgebrannte und chronisch kranke Lehrer keine neuen einstellen, funktioniert
die Schule eine Weile immer noch unauffällig. Wenn Projekte nicht mehr finanziert werden, in denen arbeitslose Jugendliche lernen, einen Arbeitstag durchzustehen, sieht man anfangs auch noch nicht viel Veränderungen. Die Opfer machen nicht am ersten Tag nach dem politischen Verrat an ihren Interessen Krawall, sondern erst Jahre später.
    Alphateams, Sonderkommissionen, Hubschrauberhelfer, Lebensretter sind spektakulär. Sie verschaffen Politikern Publicity. Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen in Krippen und Tagesstätten, Sozialpädagogen, Bürgerinitiativen, Streetworker, Kontaktbeamte, engagierte Lehrer bleiben unsichtbar. Ihre Arbeit ist nicht eindrucksvoll. Es braucht Geduld und viele Gespräche, den einen oder anderen Jugendlichen zurückzuholen, ehe er seine Kränkungswut in Molotowcocktails füllt. Das brennende Auto ist jedenfalls eher eine Nachricht als die Arbeit in der Familientherapie, im Jugendzentrum, im Klassenzimmer, in der Beratungsstelle für Migranten.
    Seit Goethe in den Xenien lakonisch den Zusammenhang zwischen Eltern und Kindern vor jeder pädagogischen Anstrengung beschrieb, hat sich unser Wissen über diese Dynamik erweitert und vertieft. Es ist heute unabweisbar, dass seelisch stabile, in einer tragfähigen Bindung zu den eigenen Eltern aufgewachsene Kinder eine größere Chance haben, angesichts der Aufgaben der Erziehung eigener Kinder zu reifen und nicht zu versagen.
    Was in diesem frühen Alter versäumt wurde, kann später durchaus wieder gutgemacht werden. Aber der Aufwand einer Therapie ist stets viel höher als der einer Vorbeugung.
Die Familienanalyse zeigt, dass auch traumatisierte Eltern unter günstigen Umständen an der ihnen gestellten Aufgabe wachsen. Aber ebenso deutlich ist auch, dass die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns wächst, je ausgeprägter die Schäden an der Kränkungsverarbeitung sind.

    Kinder sind Übung, Training, Anreiz; die Fähigkeit, von ihnen zu profitieren, lässt sich durch Unterstützung fördern, aber nicht durch Geld kaufen oder durch moralischen Druck erzwingen. Nur wenn Eltern und Kinder einander nutzen können, um sich in gegenseitiger Auseinandersetzung zu entwickeln, hat die moderne Gesellschaft angesichts wachsender seelischer Beanspruchung eine Chance.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    1. Auflage
    Copyright © 2012 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

    Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    eISBN 978-3-641-07440-1

    www.gtvh.de
    www.randomhouse.de
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