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Partnerschaft und Babykrise

Partnerschaft und Babykrise

Titel: Partnerschaft und Babykrise
Autoren: Wolfgang Schmidbauer
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einer großbürgerlichen Familie in Istanbul von ihren muslimischen Traditionen. Aber jetzt besteht Michael darauf, dass das Kind getauft wird. Er möchte sogar den Namen bestimmen, einen katholischen Namen, schließlich soll das Kind hier aufwachsen. Als er ihren Schock bemerkt, entschuldigt er sich und meint, er sei nicht so stur, wie sie denke. Er beklagt, dass sie derart nachtragend ist und ihm immer wieder vorhält, dass er sie missionieren habe wollen. Nichts liege ihm ferner, er denke nur an das Kind!
    Der liebevolle Blick, den Erwachsene tauschen, nimmt den ganzen Menschen wahr, in seinen Stärken und Schwächen. Die Schwangerschaft lässt diesen Blick kritisch und genau werden:
Taugt dieser Mensch für die neue Rolle? Da diese Rolle durch Phantasien extremer Abhängigkeit geprägt ist, verliert der Blick seine Toleranz für Schwankungen, für Ungenauigkeiten, seine Zuversicht, dass Probleme, die nicht sogleich gelöst oder – besser noch – von Anfang an vermieden werden können, sich schon irgendwann beheben lassen werden.
    In katholischer Tradition ist die Taufe ein Schutz für das Neugeborene; sie bietet die Sicherheit, dass es in das Paradies kommt und nicht, wie die ungetauften Kinder, in die Vorhölle. Michael hat viele Jahre nicht mehr an solche Lehren aus dem Katechismus der Grundschule gedacht, aber jetzt leuchten sie ihm plötzlich ein. Damit ist doch nichts endgültig entschieden, wenn das Kind später eigene Entscheidungen treffen möchte, hat er nichts dagegen. Er versteht nicht, weshalb Ayzet, die Bier trinkt und Schweinebraten isst, plötzlich etwas gegen eine solche Förmlichkeit, ein ehrwürdiges Ritual der Kultur hat, mit der sie sich verbindet. Hat sie nicht neulich das Orgelkonzert im Dom gelobt?
    Ayzet hingegen findet Michaels Vorschlag grotesk. Er ängstigt sie mehr, als sie es gedacht hätte. Hat sich nicht Michael immer wieder kritisch von seinen bigotten Eltern distanziert und achselzuckend die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche als typisch für diesen Duckmäuser-Verein kommentiert? Und jetzt dieser Vorschlag, diese Bemächtigung, der sicher noch viele andere folgen werden, wenn sie nicht sofort und energisch einen Riegel vorschiebt. Sie kündigt den schon vereinbarten Termin für die Hochzeit. Erst will sie was Schriftliches, ein Vetorecht, was solche Entscheidungen angeht.
    Schon an den Lagerfeuern der Jäger und in den Spinnstuben der Bauern haben sich Männer und Frauen am liebsten Geschichten von großen Gefahren erzählt. Das hat seinen guten Sinn – etwas wird doch hängen bleiben und die Zuhörer für den Ernstfall wappnen.
    Der Schritt aus der traditionellen Ehe, die von zwei Sippen arrangiert wird, zur individualisierten Liebe hat die Angstbereitschaft wie in einem Hohlspiegel konzentriert. In der Großfamilie gibt es viele Begleiter, welche jeden Übergang aus dem Vertrauten ins Ungewisse umgeben: den Schritt von der Kindheit zur Jugend, vom Single-Dasein zur Partnerschaft, von der Kinderlosigkeit zur Familie. Heute richtet sich der Brennpunkt dieses Hohlspiegels fast ausschließlich auf den Partner. Er wird kritisch geprüft, an ihm schmerzt jedes kleine Zeichen von Gefahren, denen sich das verunsicherte Ich ausgesetzt fühlt.
    Wird er mich in meinen pädagogischen Bemühungen unterstützen oder unser Kind verziehen, sodass es missrät? Wird unser Kind mein Asthma, seine Neigung zu Hautausschlägen, seinen cholerischen Charakter erben? Kann ein Vater, der nicht alle Ansprüche der künftigen Mutter erfüllt, das Umfeld gestalten, in dem das Kind aufwächst?
    Clara und Richard kennen sich seit zehn Jahren und haben vor acht geheiratet. Sie kommen in bedrückter Stimmung in das Vorgespräch für eine Paartherapie. Clara ist Verwaltungsangestellte und wünscht sich ein Kind; Richard ist Amateurflieger und arbeitet als Ingenieur in einem Konzern, in dem auch Flugzeuge gebaut werden. Vor acht Jahren hat er sich dort für einen
der sehr begehrten Ausbildungsplätze als Testpilot beworben, kam auf einen aussichtsreichen Platz, hat die Hürde dann aber doch nicht nehmen können. Clara bedauerte ihn damals, war aber insgeheim froh, dass Richard auf dem Boden bleiben musste. Er hat sich dann bemüht, sich damit zufriedenzugeben, dass er die Flugzeuge, an denen er baute, niemals ausprobieren würde.
    Nun wurde die Altersgrenze abgeschafft, die bisher für Testpiloten-Bewerber galt. Jetzt will Richard einen neuen Versuch starten. Clara ist dagegen: Sie will einen
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