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Partnerschaft und Babykrise

Partnerschaft und Babykrise

Titel: Partnerschaft und Babykrise
Autoren: Wolfgang Schmidbauer
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es muss nicht gleich sein, es wäre vielleicht sogar gut, noch ein wenig zu warten und zu sehen, ob ich nicht vorher das eine oder andere machen kann, wovon mich die Mutterschaft abhalten wird.
    Letztendlich gibt es Schwangerschaften, die weder ersehnt sind noch bedingt erwünscht, sondern überhaupt nicht passen und doch ausgetragen werden, weil eine Abtreibung als noch belastender eingeschätzt wird und/oder Dritte ein Kind wollen, auf das die Mutter gerne verzichten würde.

    In solchen Fällen ist das kommende Kind nicht die Komplettierung eines sich unvollständig erlebenden Selbst, sondern eine Invasion, ein Eindringling, der die Mutter ihrer bisherigen Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit beraubt. Ob im ersten Fall dieses Motiv ganz fehlt, ist aufgrund der mütterlichen Einstellungen nicht mit Sicherheit zu sagen; es hängt davon ab, wie genau das ersehnte Kind die mütterlichen Erwartungen erfüllt, wenn es erst in den Windeln liegt.

    Ein großer Anteil junger Eltern reagiert in den ersten Jahren nach der Geburt ihres Kindes depressiv. Das ergab eine Studie von Forschern um Shreya Davé vom Medical Research Council in London, für die sie die Daten von knapp 87.000 britischen Familien auswerteten.
    Dabei waren im ersten Lebensjahr des Kindes die Depressionsraten am höchsten: Hier erkrankten knapp 14 Prozent der Mütter und 3,7 Prozent der Väter. Depressionen waren umso wahrscheinlicher, je jünger die Eltern waren. Die Forscher führen diesen Zusammenhang darauf zurück, dass jüngere Eltern weniger fest im Leben stehen und einen niedrigeren sozioökonomischen Status haben. Dies führe leichter zu seelischen Erkrankungen, wenn ein Kind Stress und Schlafmangel auslöse. Insgesamt durchleiden zwischen der Geburt eines Kindes und seinem zwölften Lebensjahr jede dritte Mutter und jeder vierte Vater eine Depression. 9

    Es gibt kein Wesen, das einen so starken Eindruck der Unschuld wecken und gleichzeitig Geduld und Ausdauer auf eine so harte Probe stellen kann wie ein Baby. Daher scheint es auch fast unmöglich, sich realistisch auf ein Erstgeborenes einzustellen. Selbst bei den folgenden Kindern müssen immer wieder Illusionen abgearbeitet werden, etwa die, dass ein zweites Kind positiv darauf reagiert, ihm die vermeintlichen Fehler zu ersparen, die in der Pflege des Erstgeborenen gemacht wurden. Manche Eltern glauben, dass zwei Kinder auch nicht viel mehr Arbeit machen als eines. Ist der Nachwuchs angekommen, verdoppelt sich (subjektiv) die Arbeit, Rivalitäten und Ansprüche müssen geregelt werden, auf die sich die Eltern in guter Hoffnung nicht vorbereiten konnten.
    Die gute Hoffnung ist mehr als eine Redeweise. Ihre tautologische Qualität – eine Hoffnung, die nicht gut ist, sollten wir doch wohl eher Befürchtung nennen! – spricht dafür, dass die Lügenschleier über den Schmerzen und Ängsten, welche das Fortpflanzungsgeschäft mit sich bringt, auch in jenen Zeiten dicht gewebt sein mussten, als die Redewendung entstand.
    In traditionellen Kulturen, in denen Männer- und Frauenrollen Aufträge von Sippe und Familie abarbeiten, vollendete sich das erwachsene Leben in möglichst vielen Kindern. Heute tritt das Kind in Konkurrenz zur beruflichen Selbstverwirklichung. Je stärker sich deren Einfluss auf das Selbstgefühl ausprägt, desto mehr Aggressionen müssen neutralisiert werden, wenn ein Kind die Selbstverwirklichung gefährdet oder diese nicht in der erwünschten Weise vorantreibt.

    Kurz nach der Geburt der zweiten Tochter kommt die 36-jährige Krankenschwester mit Panikattacken und Depressionen in Therapie. Ihr Ehemann ist dahintergekommen, dass sie mit einem früheren Arbeitskollegen flirtet. Er hat ihre E-Mails gelesen und heftige Szenen gemacht. Sie reagierte mit einer Panikattacke, deren Intensität wiederum ihn bekümmert und ihm Sorgen macht. Die Therapie ist ein Kompromiss, sie ermöglicht eine Denkpause. Bisher hatte der Mann hingenommen, dass bereits nach der ersten Geburt die vorher von ihm als sehr befriedigend erlebte Erotik fast ganz verschwunden war. Da die Ehefrau als Einzelkind aufgewachsen war, versprach sie sich eine Lösung ihrer gedrückten Stimmung, ihres Libidoverlustes und ihrer Befürchtungen, ohne die Anregungen aus ihrem Beruf zu verkümmern, in einer zweiten Schwangerschaft.
    Schon während der zweiten Schwangerschaft war alles noch schlimmer geworden. Sie konnte den Geruch ihres Mannes kaum mehr ertragen, ohne zu erbrechen. Sie ärgerte sich, wenn er müde nach
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