Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Partnerschaft und Babykrise

Partnerschaft und Babykrise

Titel: Partnerschaft und Babykrise
Autoren: Wolfgang Schmidbauer
Vom Netzwerk:
Bedingungen selbstverständlich erwirbt. Er muss sich an seine Artgenossen binden , Vertrauen zu ihnen haben. Wenn das nicht geschieht, weil das Affenkind die ersten drei Monate isoliert blieb, dann fürchtet es Artgenossen wie Feinde .
    Bis zum Alter von drei Monaten vermag das Äffchen noch, diesen Schritt nachzuholen. Wird die Isolation dann beendet, entwickelt es sich nach einer schwierigen Phase voller Angst und Rückzug schließlich normal. Isoliert man es hingegen ganze zwölf Monate, ist die Störung nicht mehr umkehrbar, das Tier bleibt seiner Angst schutzlos ausgeliefert, es kann nicht das aufbauen, was der Analytiker die Angstabwehr nennt: eine innere Struktur, welche die Angst auf jene Situationen beschränkt, in denen sie sinnvoll ist. Hingegen vertragen Affen, welche die ersten drei Monate mit der Mutter lebten, eine spätere Isolierung ohne derart massive Verhaltensstörungen.

    Etwas plakativ lässt sich sagen, dass Primaten Liebe und Freundschaft lernen müssen, während ihnen Aggression, Wut und Angst angeboren sind. Wissenschaftlicher gesagt: die Evolution arbeitet ökonomisch, sie nutzt beide Möglichkeiten der Informationsübermittlung intensiv, die soziale und die genetische. In der freien Natur braucht jedes neugeborene Rhesusäffchen eine enge Mutterbindung, um zu überleben. Es gibt hier keine früh gestörten erwachsenen Affen, weil alle in dieser Weise traumatisierten Organismen nicht reifen konnten.
    Erik H. Erikson spricht beim Menschen von Urvertrauen
und Urmisstrauen . Er betont, dass blindes Vertrauen ebenso problematisch sei wie blindes Misstrauen; optimal für die soziale Entwicklung ist es, wenn das Kind lernt, vertrauenswürdigen Menschen zu vertrauen, aber sich gegen Übergriffe zu wehren und sich nicht (wie es Heimkinder oft tun) jedem Fremden auf den Schoß zu setzen. 3
    Der moralphilosophische Begriff des Vertrauens lässt sich also als angstlindernde Bindung; der des Misstrauens als ängstigende bzw. ungenügend Angst »stillende« Störung dieser Bindung verstehen. Durch seine Experimente 4 veränderte Harlow die normale Umwelt des überlebenden Äffchens, sodass sich die angeborenen Komponenten des Sozialverhaltens von den erworbenen trennen ließen. Die isolierten Affen konnten sich fürchten und sie konnten aggressiv sein, aber sie konnten nicht »lieben«, d.h. sie konnten keine Bindungen aufbauen.
    Ein von Angst gelenktes, dahinter aber aggressives Verhalten lässt jenen Typus entstehen, den wir in der Alltagspsychologie den Radfahrer nennen: er buckelt nach oben und tritt nach unten. Während normal aufgewachsene, ranghohe Rhesusaffen »ritterlich« in dem Sinn sind, dass sie in der Gruppe für Schwächere Partei ergreifen und Unterlegene vor den Aggressionen der Stärkeren schützen, verhalten sich die geschädigten Tiere anders. Sie fürchten sich vor Überlegenen und meiden sie, während sie gegenüber Schwächeren sehr grausam sein können. 5
    So hat die Hypothese viel für sich, dass wir Elternschaft durch Identifizierung erlernen. Allerdings identifizieren wir uns nicht nur mit den realen Eltern, sondern mit deren und
mit unseren eigenen Idealvorstellungen. Jedes verlassene, vernachlässigte, gequälte Kind kann sich sagen: So nicht! Wenn ich einmal Kinder habe, will ich sie anders behandeln! Diese Phantasie tröstet Kinder, sobald sie in der Frühblüte ihrer Kreativität kurz nach dem Spracherwerb, also im Alter zwischen zwei und fünf Jahren, ihr eigenes Gerechtigkeitsempfinden mit dem der Eltern messen und auch beobachten, wie andere Eltern mit anderen Kindern umgehen.
    An den Harlow-Versuchen fällt auf, dass die isoliert aufgezogenen Affenmütter aggressiv zu ihren Babys waren. Keines aus der ersten Generation hätte ohne das Einschreiten der Tierpfleger überlebt. Diese Szene lässt sich nicht auf Menschen übertragen, aber sie gibt doch zu denken. Wer Mütter beobachtet und ihre spontanen Einfälle sammelt, findet viele Hinweise auf diese Aggressionen und kann die komplexen Motive der Bindung zwischen Mutter und Neugeborenem erahnen.
    Auch menschliche Mütter brauchen günstige Bedingungen, um die Aggressionen gegen ein Neugeborenes zu entschärfen, das in ihr bisheriges Leben derart massiv eingreift. Unter ungünstigen Umständen, etwa bei einer Drogenabhängigkeit oder einer massiv von ihrem Partner enttäuschten Frau, können sich diese Aggressionen Bahn brechen. Die Bindung zwischen Mutter und Kind muss sich entwickeln können; sie ist nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher