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Partnerschaft und Babykrise

Partnerschaft und Babykrise

Titel: Partnerschaft und Babykrise
Autoren: Wolfgang Schmidbauer
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naturgegeben.
    Die an Drahtgestellen aufgezogenen Rhesusaffen hatten keine eigenen Erfahrungen mit mütterlicher Nähe und zärtlichem Austausch verinnerlicht. Daher war für sie das eigene Neugeborene ein fremdes, lästiges Ding, das sie wegwarfen
oder dem sie die Finger abbissen, wenn es sich instinktiv in ihr Fell klammerte. Es bedarf vieler grausamer Störungen in der normalen Entwicklung eines Affenbabys, um diese nackte Aggression bloßzulegen und ihre normalerweise wirksamen Gegenkräfte zu blockieren. Dennoch gibt es diese Aggression. Sie wurzelt in dem Bestreben, die eigene Sphäre gegen das Eindringen unerwünschter Kräfte zu verteidigen, notfalls mit Gewalt.
    Der Austausch zwischen Mutter und Kind ist in der emotionalen Entwicklung ebenso wichtig wie die Anwesenheit der Mutter (oder einer anderen, stabilen Bezugsperson), um das Kind in jenen Angst- und Wutsituationen zu stabilisieren, die es alleine nicht bewältigen kann.
    Wo das nicht stattfindet, wo Mutter und Kind in keinen vorwiegend freudvoll-spielerischen Austausch finden, kann das Kind später seine primitiven Affekte nicht angemessen steuern. Das hat David Levy bereits 1937 herausgefunden. Der amerikanische Psychiater, der die »überbeschützende« american mom entdeckt hat, wollte seine Beobachtungen vertiefen, indem er die Kinder solcher überbeschützenden Mütter mit anderen verglich, die überhaupt keine stabile Mutterbeziehung erlebt hatten. Bald interessierte ihn diese Kontrollgruppe mehr als die ursprüngliche Zielgruppe. Es zeigte sich, dass diese keine tragenden Freundschaften aufbauen konnten, impulsiv agierten und oft durch dissoziales Verhalten auffielen. 6
    Wie zeitlos diese Probleme sind und wie wenig die seit 1937 bekannten Zusammenhänge zwischen früher Vernachlässigung eines Kindes und späterer Dissozialität in vorbeugende
Maßnahmen umgesetzt werden konnten, zeigt eine Skizze über jugendliche Gewalttäter, die alle wegen Körperverletzung und anderen Delikten einsaßen. In jeder Biografie finden sich katastrophale Austauschdefizite in der frühen Kindheit: Die Mutter hat das Kind ausgenutzt, verlassen, es wurde vom Vater geprügelt.
    Ein 23-Jähriger, der lange auf der Straße lebte und mehrmals im Knast saß, beschreibt die durch keine frühen Austausch-und Bindungserfahrungen gemilderten Affekte:
    »Wenn ich merke, da tuscheln welche, denke ich sofort: Die tuscheln über mich. Da reicht manchmal schon ein dummer Blick … Dann fängt es im Bauch an zu brodeln. Mir wird warm, ich fange an zu schwitzen. Da ist so eine Wut! Im Nachhinein denke ich: Scheiße, was habe ich gemacht? Ich frage mich, warum mich Kleinigkeiten zu so einer Explosion bringen. Ich will, dass das weggeht. Ich mag das nicht an mir.« 7 Ein anderer: »Wenn einer versucht, mich blickzuficken – so nennen wir das. Da macht man Augenkontakt, einer versucht, böse zu gucken, und du sagst: Hey, was guckst du? Warum willst du mich blickficken? Und wumm, geht’s los!« 8
    Solche Äußerungen zeigen, wie stark Erwachsene ein Defizit an kindlichen Austausch- und Bindungserfahrungen in narzisstische Themen übersetzen. Es geht um Entwertungsphantasien – »Blickficken«, Tuscheln, Auslachen, dahinter um den Schmerz der eigenen Bindungs- und Bedeutungslosigkeit.

    Während alle Beziehungen des Erwachsenen potenziell auflösbar sind, belebt das Kind alte Ängste vor Abhängigkeit. Es kann das Selbstgefühl der Eltern steigern. Wenn es das nicht tut, wehe ihm! Es weckt dann Aggressionen, die gegenüber anderen Erwachsenen kontrolliert werden können. Das gilt vor allem dann, wenn das Kind den »großen Wurf« zu gefährden scheint, sich einer anderen Seele ganz sicher zu sein. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie ein Kind die Sphären der Eltern stört oder bereichert, beginnt mit der Schwangerschaft. Wenn diese ersehnt war, überwiegt zunächst der narzisstische Triumph. Ich verwirkliche etwas, sagt sich die Mutter oder sagen sich beide Eltern, was nur ich kann, wir können. Das Ergebnis ist eine Form der Selbstverwirklichung, die mit keinem anderen Mittel so schnell und einfach zu gewinnen ist. Diese Hochgefühle führen dann dazu, dass während der Schwangerschaft das Selbstgefühl eine bisher nicht erlebte Festigkeit und Stärke gewinnt.
    Viele Schwangerschaften sind nicht ersehnt, sondern eher bedingt erwünscht. Irgendwann will ich Kinder, hat sich die werdende Mutter gesagt. Ich lasse es darauf ankommen, ich werde älter, später wird es schwieriger,
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