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Orangenmond

Orangenmond

Titel: Orangenmond
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Seite gestellt.
    »Arbeitest du gerade an irgendetwas?«, wiederholte sie ihre Frage.
    »Nein. Ich kann im Moment nicht arbeiten!« Er hatte sich wieder an den leeren Schreibtisch gesetzt.
    Auf der Arbeitsfläche unter dem großen, mit Stoff verkleideten Viereck der Fotolampe lag eine einsame Kugel Vanilleeis auf blassblauem Stoff. Eva nahm sie in die Hand, fuhr mit dem Finger über den täuschend echt aussehenden Schmelz und ging wieder zu Georg hinüber.
    »Also los, jetzt sag schon, was ist passiert?« Sie hatten das Schlimmste schon vor fünf Jahren gemeinsam erlebt, was konnte noch kommen? Ein Food-Projekt geplatzt? Den coolen Mercedes-Kombi zu Schrott gefahren? Nein, das wäre untypisch für Georg. Obwohl er sein schnelles, neues Auto liebte, würde er das höchstens in einem Nebensatz erwähnen. Sie legte die Eiskugel behutsam auf seinen Schreibtisch.
    »Ich kann seit Tagen nicht arbeiten, nicht essen, nicht denken. Weiß nicht, wie ich anfangen soll. Vor fünf Jahren war ich am Boden, die Zukunft existierte für mich gar nicht. Aber seitdem ist viel passiert. Wir haben …«, er lächelte kurz mit traurigen Augen zu ihr hoch, »du und ich, wir haben das zusammen geschafft, wir haben es tatsächlich über lebt, obwohl ich dachte, das Leben bleibt für immer un erträglich.«
    Eva nickte und merkte, wie ihr Hals eng wurde. Tränen stiegen ihr in die Augen, wie jedes Mal, wenn jemand gefühl voll über den Tod ihrer Schwester sprach, obwohl sie in einer Ecke ihres Herzens doch immer noch so unendlich wütend auf sie war.
    »Wir haben es überlebt, und daran hast du einen ganz großen Anteil. Du hast mich da rausgeholt, warst immer für mich da.«
    »Wer hat da wen rausgeholt?«, murmelte sie. Er schniefte. In einer simultanen Bewegung fuhren sie sich beide mit dem Handrücken über die Wangen. Eva merkte es kaum.
    »Deswegen muss ich dich etwas fragen. Vielleicht findest du es komisch.« Er drehte den Stuhl ganz zu ihr um und nahm ihre Hände. Seine waren warm, kräftig und trocken. »Eva!«
    Ihr Herz klopfte so bescheuert schnell, während ihr tausend Gedanken durch den Kopf schossen. O Gott, er würde doch nicht etwa … Was für ein Kleid würde sie tragen? Bestimmt kein schwarzes aber wäre Weiß in Ordnung andererseits wer war heute denn noch Jungfrau selbst Mütter mit drei Kindern heirateten in Weiß musste der Mann nicht in die Knie gehen durfte er einfach auf einem Bürostuhl sitzen bleiben während die Frau stand …
    Er schaute zu ihr hoch. So fühlt sich das also an, dachte sie und bereute, dass sie ihr Haar nicht offen trug.

 
    3
    Zehn Minuten später saß Eva in einem Liegestuhl auf der Dachterrasse. Sie wusste nicht mehr, wie sie dorthin gekommen war.
    »Schön?!« Georg schnaubte in sein Weinglas. »Mehr fällt dir nicht dazu ein!?«
    Mir fällt ein, dass ich dich verdammt noch mal immer noch liebe und gleich anfange zu heulen, dachte Eva. »Ich kann doch nichts dafür, wenn du meinst, so etwas tun zu müssen!«, antwortete sie mit über der Brust verschränkten Armen. Sie kämpfte mit den Tränen und hatte eine Gänsehaut, was nicht nur daran lag, dass die Sonne gerade hinter den Dächern verschwand. Wie konnte er nur! Durch diese seltsame, egoistische, bescheuerte Idee hatte er alles kaputt gemacht.
    Sein Leben war doch in Ordnung gewesen! Na ja, berichtigte sie sich, soweit das Leben in Ordnung sein kann, wenn die geliebte Frau plötzlich stirbt.
    »Ich bin völlig kaputt innerlich, liege nachts stundenlang wach, kann mich tagsüber auf nichts anderes mehr konzentrieren, meine Tage beginnen und enden mit Gedanken an Milena.«
    Milena. Er sprach den Namen wie gewohnt zärtlich und mit besonders lang gezogenem E aus: Mileeena.
    Eva fand es affig, dass ihre Schwester ihren Nachnamen einfach hatte wegfallen lassen. Aber so war sie gewesen: schon von klein auf davon überzeugt, etwas ganz Einmaliges zu sein. Niemand in ihrer Klasse hieß wie sie, niemand in der ganzen Grundschule, auch später auf dem Gymnasium nicht. Sie war auf ewig die einzige Milena weit und breit.
    »Ein einzelner Vorname, der steht für was, peng! Das ist ein Markenzeichen und bleibt doch viel besser im Gedächtnis!« Damals wohnten sie noch zusammen in der WG in der Leunastraße und stritten unaufhörlich. »Was ist denn daran so schlimm? Was passt dir denn daran nicht?«, bohrte sie weiter.
    »Wie Otto! Herzlichen Glückwunsch!«, hatte Eva noch gekontert, doch vergeblich. Ihre Schwester hatte recht be halten. Sie war
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