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Orangenmond

Orangenmond

Titel: Orangenmond
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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etwas Besonderes aus. Bevor die beiden wiederkämen, würde sie lauter leckere Sachen einkaufen. Das hatte sie schon oft getan, nur um das Leuchten in Georgs Gesicht zu sehen. Er konnte sich wie ein Kind über einen gut gefüllten Kühlschrank freuen.
    Nein, sie wollte kein Leuchten mehr in Georgs Gesicht zaubern. Zauberte er denn eins in ihres? Eben.
    Offenbar war sie nun doch in den Uhlenhorster Weg gefahren, denn sie stand ganz eindeutig vor dem Haus, in dem Georg und Emil wohnten, und beobachtete in diesem Moment ihren Zeigefinger, der auf eine Klingel neben dem Namen Wassermann drückte. Nur wenige Sekunden später hörte sie Emils Stimme mit einem lang gezogenen »Hal looo?« durch die Sprechanlage.
    »Ich bin’s, Eva.«
    »Danke, ich bin gewarnt!« Oben wurde der Türöffner gedrückt. Eva lief an der engen Kabine des Fahrstuhls vorbei und machte sich an den Aufstieg. Sie verdrehte die Augen. Ich bin gewarnt … Emil benutzte manchmal so seltsame Formulierungen, gar nicht kindgemäß. Mit zehn war er doch noch ein Kind, oder? Wenn auch nicht mehr lange.
    Oben angekommen war sie kaum außer Atem. Emil lugte durch den Spion und öffnete die Tür dann in Zeitlupe. Mit einer minimalen Bewegung seines Kopfes versuchte er, seine langen Haare aus dem Gesicht zu werfen. Den Rest seines Körpers hielt er gerade wie ein Stock, auf seinem rechten Oberarm saß grün schillernd, in seiner Bewegung erstarrt, Theo. Links auf der Schulter, braun und unscheinbar und ebenso reglos, Sandy. Eva zog die Augenbrauen hoch und bemühte sich, ihre Verwirrtheit wegzugrinsen. Schon stand sie wieder hier, obwohl sie sich doch geschworen hatte, eine lange, lange Pause einzulegen.
    Andererseits war es eigentlich egal, ob Georg nun alle Schaltjahre einmal mit ihr ins Bett ging oder nicht, sie hatte immerhin eine gewisse Verantwortung für Emil. Zum Beispiel dafür zu sorgen, dass er die Haare geschnitten bekam, und zwar schnell, der Junge sah ja kaum mehr etwas, und diese Herumschüttelei wurde langsam zum Tick.
    »Hey, Emil, kann sein, dass dein Papa hier gleich auftaucht!« Die beiden Chamäleons hatten Rest-Wohnungsverbot, sie durften eigentlich nicht aus Emils Zimmer heraus. Emil drehte sich langsam um, wie ein Schlittschuhläufer unter Valiumeinfluss rutschte er auf Socken über das Parkett. Eva folgte ihm über den langen Flur. In seinem Zimmer ließ er die Tiere über seine Arme wieder zurück in das Terrarium klettern.
    Sie sah ihm dabei zu, wie er die Pflanzen hinter der Glasscheibe konzentriert mit Wasser besprühte, ohne Sandy und Theo dabei direkt zu treffen. Er ging völlig in dem auf, was er tat, genau wie Milena früher. Er sagte nichts, und sie fragte ihn auch nichts. Kein: Was macht die Schule?, oder: Wie geht’s beim Training? Emil war kein Kind für Small Talk. Seine Augen schienen sie zu durchschauen, sie war seine Tante, nicht seine Mutter, und sollte bitte auch nicht versuchen, diese Rolle zu übernehmen.
    Kurz nach Milenas Tod hatte sie ihn einmal ins Bett gebracht und das Kasperpuppenritual, bei dem sie Milena so oft beobachtet hatte, nachgemacht. Milena spielte wunderbar, mit verstellten Stimmen und viel wildem Kämpfen, die Puppen hauten sich alles Mögliche um die Ohren, was Emil damals liebte. Doch bei Evas Vorstellung drehte er sich schon nach der ersten Bleistift-Schwerter-Attacke weg und verlangte nach seinem Papa. Eva legte die Puppen beiseite und holte ihn. Als sie später aus dem Wohnzimmer kam, wo sie mit Georg noch eine Zeit lang zusammengesessen hatte, fand sie vor der Tür eine an sie gerichtete Nachricht. Ein kleiner gelber Zettel mit zwei von Emil geschriebenen Wörtern dar auf: DU. NAIN.
    Eva hielt kurz die Luft an. Über dem Terrarium hing ein Foto von ihrer bildschönen Schwester mit dem kleinen Emil im Arm. Sie schaute so gut es ging daran vorbei und machte sich auf die Suche nach Georg.

 
    2
    Sie fand Georg in seinem Arbeitsraum im hinteren Teil der Wohnung. Er saß am Schreibtisch, der Computerbildschirm war dunkel. Langsam stand er auf, seine huskyblauen Augen sahen müde aus, und um seinen schönen, in diesem Moment aber zusammengekniffenen Mund wuchs ein Dreitage-, ach, mindestens Zehntagebart. Auch die dunklen Haare waren nicht wie sonst auf jungenhafte Art sorgsam zurechtgestrubbelt. Ich sollte das nicht tun, dachte sie. Egal, was er mir zu sagen hat und was er von mir will. Ich sollte gar nicht hier sein und sein Gesicht, seinen Körper so verliebt anglotzen. Der mühsam errichtete
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