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Orangenmond

Orangenmond

Titel: Orangenmond
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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    »Oh, bitte, nicht jetzt noch einen Mord«, murmelte Eva, als das Telefon klingelte. Es war nicht umgestellt, sie hatte also immer noch Eingangsdienst. DEZ.41 , zeigte das Display, dahinter Brockfeldt . »Ausgerechnet der …«
    Brockfeldt war zwar nicht so kompliziert, umständlich und schnell gekränkt wie ihre Chefin Ulla, doch er war unangenehm devot und ließ keine Gelegenheit aus, von Evas Stimme zu schwärmen. Selbst wenn es um Mord und Totschlag ging.
    »Ihre Stimme, so durch den Hörer – also, die haut mich immer wieder um!« Auch wenn Eva ihn dann mit Schweigen strafte, gab er nicht auf.
    »Von Ihnen würde ich mir gerne mal eine Gutenachtgeschichte erzählen lassen!« Und dem folgte stets ein Seufzer, als ob er von etwas Unerreichbarem träume.
    Eva knurrte tief hinten in der Kehle, um für Brockfeldt einen extra rauen Unterton zu erzeugen. Sie war eigentlich schon gar nicht mehr da, unerreichbar – jedenfalls für die Brockfeldts dieser Welt. Betont langsam nahm sie den Hörer ab.
    »LKA 34, Jakobi?«
    »Wie weit bist du mit Uwe W., dem T-Shirt-Fall?«, fragte Chefin Ulla ohne Umschweife durch Brockfeldts Leitung. Eva hatte oft mit ihr zu kämpfen: um die Einhaltung des korrekten Dienstweges, der Ulla äußerst wichtig war, um die richtigen Formulierungen in den Gutachten, um die Einführung neuer Methoden, die woanders schon längst etabliert waren. Aber jetzt saß Ulla offenbar bei Brockfeldt im Morddezernat in einer Besprechung und musste seine feuchten Mundwinkel mitsamt den Kuchenkrümeln darin ertragen. Allein deswegen hatte sie Mitleid verdient.
    »Das Gutachten ist fertig, die Spuren waren Uwe W. eindeutig zuzuordnen, bringe ich dir gleich vorbei.«
    »Nicht nötig, lass es auf deinem Schreibtisch liegen, ich hole es mir später. Gute Arbeit, Eva!«
    Eva schwieg einen Moment überrascht. »Dann bis morgen!«, antwortete sie endlich. Sie hat mich gelobt, ich fasse es nicht, dachte sie und war sicher, Ulla könne ihr Grinsen durch den Hörer sehen. Doch eigentlich brauchte sie kein Lob. Auch wenn sie manchmal über ihren Job stöhnte – sie arbeitete gern im LKA. Gut, die Kantine war nicht gerade ein Feinschmeckerrestaurant, die Flure waren lang und öde, und es gab keine frische Luft in dem krakenhaften Riesenbau, in dem sich das Hamburger LKA auf mehreren Etagen ausbreitete. Aber die Labore waren technisch auf dem neuesten Stand und manche der Assistentinnen engagiert und gewissenhaft. Von den anderen, die ihren Job nicht ganz so ernst nahmen, wurde man dafür großzügig mit Informationen aus der neuesten Gala und dem Kantinentratsch versorgt.
    Eva wollte sich ein Leben ohne die Abteilung DNA-Analysen und die täglichen Besprechungen, Untersuchungen und Meinungsverschiedenheiten einfach nicht vorstellen. Hier konnte sie ihre Fähigkeiten Tag für Tag einsetzen: lo gisch denken, vergleichen, analysieren, immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und Lösungen, wenn die Abteilung bei einem Fall nicht weiterkam. Durch ihre unorthodoxen Lösungsansätze waren schon eine Menge zunächst aussichtslose Fälle doch noch aufgeklärt worden. Ullas Ein wände – »Das haben wir aber immer schon so gemacht« oder »Das haben wir aber noch nie so gemacht« – fegte sie lässig beiseite. Brockfeldt bewunderte das, er fand es toll, wenn sie etwas Neues ausprobierte, was irgendwie ein wenig nach CSI aussah.
    Eva liebte es, morgens als Erste in den Labors anzukommen und abends, wenn die anderen längst nach Hause gegangen waren, noch über Elektropherogrammen zur DNA-Analyse oder den neuesten wissenschaftlichen Publikationen zu sitzen. Das war allemal spannender, als sich irgendeine Schnulze im Kino anzuschauen. Zu viel freie Zeit war sowieso gefährlich, Lücken in ihrem Tagesablauf brachten sie zum Grübeln und Zweifeln. Und dafür gab es nur einen Grund: Georg.
    Manchmal, nach einem zu langen Wochenende oder drei Tagen Resturlaub, in denen sie sich zu nichts Vernünftigem hatte aufraffen können, lag sie nachts schlaflos im Bett. In ihrem Magen nagte ein kleines Tier, ihr Herz klopfte zu schnell, und ihr Hirn feuerte ungebremst Gedanken in die Nacht: Was mache ich mit Georg? Was macht Georg mit mir?
    Eva rollte auf ihrem Schreibtischstuhl so heftig zurück, dass sie gegen die Wand stieß. Es war lächerlich: logisch denken, vergleichen, analysieren, also all das, was ihr bei der Arbeit so leichtfiel, schaffte sie in ihrem Liebesleben nicht. Liebesleben! Was für ein Begriff für eine zwei
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