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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch
Autoren: Andreas Gößling
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allgemein erfahrbaren Wirklichkeit, zu einer Welt- und Selbstwahrnehmung, die weit facettenreicher, allerdings auch ungleich diffuser war als unsere heutigen, rationalistisch abgemagerten Realitätskonstrukte.
    Die Grenze zwischen (erlaubter, rational erklärbarer) »Realität« und (verbotener, »irrationaler«) »Magie« wurde erst zu jener Zeit, im 15. und 16. Jahrhundert, mit Feuer und Folter in das Bewusstsein unserer Kultur eingebrannt – und eben deshalb betreffen die so gewaltigen wie gewaltsamen Umbrüche zwischen Mittelalter und Neuzeit bis heute in einem tiefgreifenden Sinn jeden Menschen, der in dieser Kultur heranwächst und lebt.
    Wie unscharf die Grenze zwischen »alter« und »neuer Wirklichkeit« noch für die Zeitgenossen Luthers oder Dürers verläuft, ließe sich an vielerlei Beispielen zeigen. Der spätmittelalterliche Wandermedikus Paracelsus etwa (1493–1541) gilt heute als Pionier und Mitbegründer unserer modernen Medizin. »Modern« war er aber hauptsächlich insofern, als er die tatsächliche Wirkung seiner Theorien und Rezepte auf die Patienten überprüfte (was in der mittelalterlichen Medizin vollkommen unüblich war) – seine Theorien und Rezepturen selbst gehören überwiegend noch magischen Vorstellungsweisen und dem Denken in bildlichen Analogien an.
    Nach diesem Konzept ist die Natur das »Buch Gottes«, in dem der Heiler nur richtig »lesen« muss, um zu jeder Krankheit das passende Heilmittel zu finden. So helfen gewisse rote Beeren gegen Blutarmut und Pflanzen mit herzförmigen Blättern wirken bei Herzbeschwerden. Gegen wieder andere Gebrechen empfiehlt Paracelsus, der sich auch als Astrologe einen Namen gemacht hat, bestimmte »Planetengeister« anzurufen – diese regieren die einzelnen Himmelskörper, deren Einflüsse wiederum Krankheiten und Beschwerden hervorrufen können. Das alles liest sich aus heutigerSicht recht befremdlich. Bei seinen Zeitgenossen war Paracelsus auch keineswegs als »fortschrittlicher« Mediziner, sondern als eine Art Wunderheiler und wunderlicher Heiliger bekannt.
    Heutige Biografen versuchen derlei Widersprüche meist mit der Plattitüde wegzuerklären, dass die betreffenden Persönlichkeiten eben »mit einem Fuß noch im Mittelalter« gestanden hätten und nur mit dem zweiten bereits auf neuzeitlichem Boden. Aber diese Formel hätte Paracelsus wohl ebenso wie Luther (dem nach eigener Erklärung zumindest einmal der Teufel erschienen ist) mit Nachdruck zurückgewiesen: Das kausallogische Denken in Ursache und Wirkung war für sie eine Möglichkeit der Welterfahrung unter vielen anderen – sie zur einzig »realen« zu erklären, hätte für sie ebenso wenig Sinn ergeben wie die Forderung, die Welt fortan nicht mehr mit allen fünf Sinnen, sondern nur noch mit den Augen wahrzunehmen.
    Ein weiteres Beispiel ist Johannes Trithemius (1423–1516), der Abt des Klosters Sponheim, der in meinem Roman als möglicher »magischer Mithörer« des Treffens in der Bamberger Bischofsburg erwähnt wird. Trithemius war ein äußerst belesener Autodidakt und in gelehrten Kreisen damals tatsächlich als »Bücherpapst« bekannt. Das Buch, das seinen Ruhm als Gelehrter und Bücherkenner begründete, ein umfangreicher Katalog kirchlicher Schriftsteller und ihrer Werke, stellte sich allerdings später als in weiten Teilen frei erfunden heraus. Auch er schrieb eine Reihe von Büchern magischen Inhalts – unter anderem über Telepathie und die verschlüsselte Übermittlung von Botschaften mithilfe der Geister. Als er ins Visier der Inquisition geriet, wusch er sich vom Vorwurf der verbotenen Zauberei rein, indem er mit dem Antipalus maleficiorum (1508) eine gräuliche Hetzrede gegen Hexen und Hexerei verfasste.
    Alles in allem erscheint Johannes Trithemius als ein Mann mit so vielerlei Facetten, dass man ihm aus heutiger Sicht geradezu eine »multiple Persönlichkeit« bescheinigen müsste – ein Gelehrter und Scharlatan, Magier und Büchersammler, frommer Mönchund Dämonenbeschwörer. Aber obwohl diese schillernde Vielseitigkeit selbst seinen Zeitgenossen etwas zu weit ging, genoss er bei kirchlichen und weltlichen Gelehrten größtes Ansehen und galt als einer der weisesten Männer jener Zeit.
Die geheime Bruderschaft in der Bamberger Bischofsburg
    Was Hans Wolf in meinem Roman über Fürstbischof Georg III. (ca. 1470–1522) erzählt, trifft wohl im Großen und Ganzen zu. Georg ist ein kirchentreuer Katholik, aber skeptisch gegenüber vatikanischen Auswüchsen
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