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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch
Autoren: Andreas Gößling
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eine neue schaurige Dimension. Vor allem zwischen 1600 und 1630 tun sich die fränkischen Bistümer Bamberg, Würzburg und Eichstätt mit der Verfolgung, Folter und Hinrichtung von zahllosen angeblichen Hexen und Hexern unrühmlichhervor. Unter dem Verdacht der Hexerei kann man vor kirchlichen ebenso wie vor weltlichen Gerichten angeklagt werden.
    Der Zusammenhang zwischen Ketzertum und Hexerei liegt für die damaligen Vatikankleriker auf der Hand: Für sie sind Häretiker ebenso wie Hexen mit dem Satan im Bunde und betreiben verbotene Magie. Dieser Vorwurf ist in vielen Fällen nur vorgeschoben – und doch hat die Besorgnis der Glaubenswächter aus ihrer Sicht einen realen Kern: Das alte »heidnische« Wissen, die Erinnerung an gewisse vor- und außerchristliche Praktiken und Gebräuche, ist auch im 14. und selbst im 15. und 16. Jahrhundert in Mitteleuropa noch nicht gänzlich erloschen.
    Zu dieser Zeit gibt es zwar hierzulande keinerlei »Heidennester« mehr – die Missionierung des Kontinents ist offiziell längst erfolgreich abgeschlossen worden. Aber keltische Riten und Mythen oder germanische Zauberbräuche sind auch damals noch nicht ganz in Vergessenheit geraten, sowenig wie jüdische Zeremonialmagie, antike Alchimie oder das überlieferte Wissen der »weisen Weiber«, der heil- und verhütungskundigen Frauen. Und gerade in »gesellschaftlichen Randgruppen« (wie wir heute sagen würden), bei den fahrenden Leuten, den Kräuterweibern und manchen »sektiererischen« Gemeinschaften und Geheimbünden findet die alte Überlieferung immer wieder aufs Neue Zuflucht.
    Die »weisen Frauen« und »Kräuterweiber« sind den vatikanischen Klerikern aus verschiedenen Gründen ein Dorn im Auge. Zum einen sollen die Frauen nach kirchlicher Lesart der Botschaft Jesu »dem Manne untertan« sein – in vielen »heidnischen« Kulturen dagegen, etwa in der keltischen, nahmen die Frauen eine starke, den Männern keineswegs untergeordnete Stellung ein. Vor allem aber drohen die Hebammen und »Kräuterweiber«, mit ihrem überlieferten Verhütungswissen die katholische Verteufelung der körperlichen Liebe auszuhebeln: Nur zum Zweck der Fortpflanzung und einzig unter kirchlich getrauten Eheleuten soll nach dem Willen der Priester Sex noch erlaubt sein – ein lustfeindlichesDogma, das sich nur dann durchsetzen lässt, wenn die Frauen die Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit verlieren.
    Wohl nicht zuletzt deshalb werden die »Heilweiber« und »Kräuterfrauen«, die kraft alter Überlieferung wissen, welche Praktiken zur Verhütung und notfalls zur Abtreibung tauglich sind, als »Hexen« verdammt und ab dem Ende des 15. Jahrhunderts wie Freiwild gehetzt. Hierbei treffen sich einmal mehr die Absichten der kirchlichen und der weltlichen Gerichtsbarkeit: In der Ära des boomenden Handels und Handwerks haben die Herrscher längst erkannt, dass ihre Macht und ihr Reichtum auch von der schieren Kopfzahl ihrer Untertanen abhängen. Welchen Gott ihre Bauern und Bürger anbeten, mag für die Fürsten eine untergeordnete Rolle spielen – aber dass die Frauen durch Geburtenkontrolle das Anwachsen der Bevölkerungszahl eigenmächtig hemmen, kann keineswegs in ihrem Interesse sein. Und so blasen Inquisitoren und Reichspolizisten einträchtig zur »Hexenjagd«.
Alte und neue Wirklichkeiten
    Was die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Recht auf Geburtenkontrolle angeht, haben sich die Europäer zwar heutzutage auf »vorchristliche« Werte zurückbesonnen. Aber täuschen wir uns nicht: Die Inquisitoren des späten Mittelalters bekämpften keineswegs nur (nach heutigen Begriffen) »fortschrittliche« Denker und Ideen – sie zogen überdies gegen Sitten und Gebräuche zu Felde, die auch der heutige Zeitgeist als »rückschrittlich« ansehen würde, als Rückfall in »irrationale«, »vor-aufklärerische« Vorstellungswelten.
    Das betrifft sämtliche »magischen« Denk- und Erfahrungsweisen der vor- und außerchristlichen Kulturen Europas: Auch nach dem Ende der Hexen- und Ketzerjagd blieben sie aus den abendländischen Vorstellungen von Wahrheit und Wirklichkeit ausgegrenzt. Das »wilde« Denken in Assoziationen und bildlichen Analogien (statt in Kausallogik), die »Wahrheit des Herzens« (derIntuition), die Evidenz von Visionen, Trance-Erfahrungen, schamanischen Seelenreisen, die empathische Hochempfindlichkeit bis hin zu telepathischen Fähigkeiten – all das und Vieles mehr gehörte in »vor-inquisitorischen« Zeiten einmal zur
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