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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch
Autoren: Andreas Gößling
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Fundament und Mauerwerk dieser Kultur selbst schließen. Das dramatische Grundmuster solcher Untergangsmythen und -visionen ist fast immer das gleiche: Der Zusammenbruch einer geistigen und gesellschaftlichen Welt wird in die physische Außenwelt projiziert und am besten noch zum Untergang des gesamten Kosmos übersteigert. Vom Himmel regnet es Feuer, aus der Tiefe der Meere kriechen die grausigsten Ungeheuer – aber was da in so eindrucksvoller Inszenierung verheert und verwüstet wird, sind keine realen Länder, Planeten oder gar Galaxien, sondern geistig-seelische Topografien und soziale Ordnungssysteme.
    In diesem übertragenen Sinn also vollzieht sich um 1500 im christlichen Europa zweifellos ein »Weltuntergang«: Die vergleichsweisefest gefügte Welt des mittelalterlichen Denkens und Empfindens zerbricht. Wie bedrohlich es im sozialen und geistigen Mauerwerk des Abendlandes zu jener Zeit bereits knirscht, sei hier nur anhand einiger Stichwörter angedeutet.
Die »Neue Welt«
    Kurz vor Ende des 15. Jahrhunderts hat Christoph Kolumbus versehentlich Amerika »entdeckt« – keineswegs als Erster oder auch nur als Fünfter oder Zehnter, denn den Einwohnern des Riesenkontinents, die in anhaltender Verwirrung bis heute »Indianer« heißen, war die Existenz ihres Erdteils ja schon geraume Zeit bekannt. Doch für die Europäer ist es eine ganz und gar »Neue Welt«, die in ihrem alten Weltbild eigentlich keinen Platz findet – mit Hochkulturen wie jenen der Maya oder der Mexica (»Azteken«), die vom angeblich einzigen und allmächtigen Christengott noch nie gehört haben und gleichwohl über eigene Schrift und Mathematik, über Architektur und Agrarwirtschaft, über vielfältige Künste, Mythen und Götterwelten verfügen. Die christlichen »Entdecker« beeilen sich zwar, die »indianischen Heiden« mit Feuer und Schwert zu bekehren (bei welcher Gelegenheit unter anderem einige Zehntausend »verbotener« Bücher der Maya feierlich verbrannt werden); aber die eurozentrische »Alte Welt« wird sich von dem Schock, dass es daneben noch mindestens eine »Neue« gibt, nie mehr gänzlich erholen.
Neue Welttheorien
    Sowenig wie die »Welt« nur aus dem christlichen Abendland mit Europa als ihrem Zentrum – und Rom als ihrem »Nabel« – besteht, so wenig bildet die Erde den Mittelpunkt des Weltalls: Auch diese Ahnung liegt um 1500 bereits in der Luft, wenngleich noch niemand sie öffentlich auszusprechen wagt. Denn solcherlei »Irrlehren« können nur vom Satan eingeflüstert worden sein und geltenals furchtbarste Ketzerei. Doch ausgerechnet der Papst beruft im Jahr 1500 einen Gelehrten der Astrologie nach Rom, der wenig später einen vernichtenden Schlag gegen die »geozentrische« Lehre der Kirche führen wird: Nikolaus Kopernikus (1473–1543).
    In seinem Hauptwerk weist der polnische Forscher nach, dass sich die Planeten um die Sonne (»heliozentrisches« Weltbild) und nicht etwa (»geozentrisch«) um die Erde drehen. Wohl nur weil Kopernikus die Veröffentlichung seines epochemachenden De revolutionibus orbium coelestium (»Von den Drehungen der Himmelskreise«) immer wieder hinauszögert, bleibt ihm die Bekanntschaft mit den Folterwerkzeugen der Inquisition erspart: Als er das erste Buchexemplar in Händen hält, liegt er bereits auf dem Sterbebett – und die Druckversion ist überdies um eine Vorrede angereichert, die die revolutionäre Theorie zu einer bloßen Hypothese relativiert.
    Gleichwohl wird das Fundament der »mittelalterlichen Welt« auch durch diesen wissenschaftlichen Geniestreich irreparabel beschädigt. Die vatikanische Buchzensur verbietet das Werk des Kopernikus nicht in Bausch und Bogen, sondern erlaubt seine Verbreitung in zensierter Form – »bearbeitet« durch kirchliche Zensoren, die die kopernikanische Theorie zum bloßen mathematischen Modell verharmlosen. Gegen jegliche Denker und Forscher aber, die unter Berufung auf Kopernikus den Geozentrismus der Kirche und der Bibel attackieren, geht die Inquisition in der Folge mit aller Gewalt vor.
    So wird der italienische Dichter und Gelehrte Giordano Bruno (1548–1600) in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er behauptet hat, dass das Weltall unendlich sei, also weder um die Erde zentriert sei noch irgendwo einen Platz übrig lasse, wo sich das christliche Jenseits befinden könne. Gut dreißig Jahre später entgeht der italienische Mathematiker, Astronom und Physiker Galileo Galilei (1564–1642) einem ähnlichen Schicksal nur
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