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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Autoren: Frank Schulz
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Knorpelzapfen schnörkelten, waren bereits recht gut verheilt.)
    Wie ein Schwerhöriger sprach er lauter als nötig, mit kehliger Stimme; eine sinnvolle Aussage herauszufiltern war dennoch schwer. Nicht nur wegen Nasenschmucks und Zahnlosigkeit, sondern auch hamburgischen Kiezakzents wegen. In lautmalerischer Umschrift sähe das, was an Äußerung in diesem Moment zu vernehmen ist, ungefähr so aus: »Tächau. Die For’äoufwoiwee biddeee?« In dudenmäßiger Lautschrift:
    Arnoldsweilerin Dagmar verstand natürlich kein Wort, ebensowenig Hanauerin Ellen. Gemeint war – das dürfte als gesichert gelten, und entsprechend sollte es der Webmaster dann später auch untertiteln – so viel wie:
UT: Guten Tag auch. Die Fahrausweise, bitte?
    Es lachte aber niemand. Nicht einmal er selbst. Jedenfalls ist im Film nichts dergleichen zu hören.
    Statt dessen hatte er stumm mit einer Kralle auf Dagmar gedeutet und sie gestisch aufgefordert, weiterzufilmen. Ihn zu filmen. Immer weiterzufilmen – nur zu, keine Bange. Und aus komplizierten psychologischen Motiven, die auch mit Angst, aber nicht nur mit Angst zu tun hatten, gehorchte sie. Und wieder tat der höhere Regisseur sein Bestes bei der Kameraführung Dagmars. Wobei die letzte Sequenz dieses Clips ein wenig vom Prisma eines Tropfens Alsterwasser gestört wird, der durch das Gefuchtel des Hünen auf die Linse geraten war.
    Zu sehen sind in der letzten, der vierzehnsekündigen ›Posing-Phase‹ dieses ersten Clips hauptsächlich vier Posen des Hünen. Posen, die er den Repertoires von Body Building, Kung-Fu und Säbelkampf entlehnt haben dürfte. Bei jeder neuen seiner unbedingt beeindruckenden Schaufiguren gibt er Laute von sich. Selbstanfeuerung. Vertonung seiner Wunschvorstellung davon, was das Publikum bei seinem Anblick ästhetisch empfinden möge. Oder erotisch. Laute wie [ja:],sowie; zuletzt sogar, bei jenem Hüftschwung, ein gar nicht mal unschwules
    Rosenrotes Blut trieft von seinem leicht verletzten Gesäß, und rosenrotes Blut trieft von seiner Oberlippe. Ellen zufolge bildete sich bereits eine kleine Lache an Deck, was auf dem Film nicht zu sehen ist.
    Zwo Meter zwo (ohne Gehörn). Hundertachtundzwanzig Kilogramm Knochengerüst und massive Muskulatur, kein Milligramm davon überflüssiges Fett. Wie später ermittelt, hatte er seit elf Wochen täglich vier Stunden unter der Skarabäusnadel des weltberühmten anonymen Künstlers »###« gelegen (und dafür bereits zweiundfünfzig Riesen angezahlt). Und obwohl sie auf dem Film unübersehbar, ja ausschnittweise relativ gut erkennbar sind, all die spektakulären Porträts und Szenarien und Muster, die in die Haut des Hünen gestochen, geritzt und gebrannt worden waren – als Betrachter konzentriert man sich unweigerlich auf Posen und Muskelkontraktionen. Auf Dolch, triefendes Blut, irren Schädel. Auf Aal oder Cellophanhülle. Geschweige, daß es Ellen und Dagmar in der akuten Situation anders gegangen wäre.
    Als aus dem Off die Stimme von Käpt’n L. ertönt, sieht man, wie der Hüne die vierte Pose abbricht.
    Sie ertönt recht deutlich, die Stimme von Schiffsführer Erich L., weil er plötzlich direkt hinter Dagmar in der offenen Tür zum Fahrgastraum stand. Eine Stimme wie geschnitzt und geölt. Eine Stimme wie ein Requisit aus dem Ohnsorg Theater. »Wät is hiär denn läous.«
UT: Was ist hier denn los.
    Und wiederum gehorchte Dagmar ihrem höheren Regisseur, indem sie nicht vor der Stimme erschrak, nicht nach der Stimme schwenkte, nicht zagte und zauderte. Sondern filmisch festhielt, wie der Hüne sich lässig aus seiner letzten Pose löst, die kriegerstolze Haltung eines vollwertigen Verhandlungspartners annimmt, zweimal mit der flachen Klinge auf das rechte Horn tippt – beim zweiten Mal bleibt die Cellophanhülle daran kleben – und mit seinem blutigen, zahnlos grinsenden Maul unter dem quersteckenden Nasenknochen nuschelt: »Der Deubl, Diggä. Der Deubl if läouf, Diggä.«
UT: Der Teufel, Dicker. Der Teufel ist los, Dicker.
    Schnitt. Ende des ersten, hundertzwosekündigen Clips jenes weltweit millionenfach angeklickten Internetfilms mit dem Titel »Irrer Huene«.
    So weit die per Camcorder aufgezeichneten Geschehnisse auf Hamburgs weltberühmtem Binnensee bis 11:24 Uhr MEZ an jenem Freitag, dem 13.   August eines der Nuller-Jahre Ende des ersten Jahrzehnts im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Nachdem alles vorbei war, fragten sich die Medien der Welt, allen voran die verlogene HEZ,
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