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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Autoren: Frank Schulz
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ergänzte Ellen, »furchtbar!« Foschba.
    Als er die holzverkleidete Reling packte, brannte sich Ellens Gedächtnis das Bild seiner Faust ein. Diese Faust sah aus, als sei sie mit der grünlichbraunen Hornhaut eines Schuppenpanzers bezogen. Auch die spitzgefeilten und gefärbten Fingernägel unterstützten den Eindruck einer Reptilkralle. Nur waren auf den ersten Fingergliedern Buchstaben zu lesen: ein B auf dem kleinen, auf dem Ringfinger ein U sowie je ein M auf Mittel- und Zeigefinger. (Auf der linken Faust, wie sie später sah, in umgekehrter Reihenfolge: Z, A, C und K . Die Schlagkombination eines Linksauslegers ergäbe aus Sicht eines künftigen Opfers folglich ZACK BUMM .) Jede Letter war bauchig, weiß koloriert, fett umrandet; eine Schrifttype, wie man sie von Explosionen in Comics kennt, oder von Graffiti auf den Barackenwänden entlang der Abstellgleise unserer Republik.
    Als weitere Abweichung vom Kroko-Look waren auf der derben Schwimmhaut zwischen Daumen- und Mittelhandknochen – nachträglich eingefaßt von einem smaragdgrünen Kleeblatt – drei Punkte in billigem Blau zu sehen. Dies triangelförmige Zeichen aus alter Knasttradition steht für die Faustregel Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, was sich auf Kollaboration mit Behörden aller Couleur bezieht.
    Als der Hüne an Bord klomm, versprühte er eine Brise aus modrigem, fischrauhem Teichgeruch – in der Hitze elementar und aufreizend. Triefend stieg er über seine Faust an Bord, mit einer eleganten Scherenbewegung der schwerathletischen Schenkel (die gleich den Schultern weitgehend wie gehäutet wirkten, gezeichnet wie in einem Schaubild zur Anatomie der menschlichen Muskulatur). Und aus dem somit präsentierten Hüftbecken sprang dabei ein fetter Aal auf (mit Kopf), angewachsen an einem schlammfarbenen Beutel mit dem Fassungsvermögen von zwei Schlangeneiern.
    Ellen mochte nicht einsehen, was sie da sah. (Und jedesmal in ihrem wiederkehrenden Alb assoziierte sie den Beutel mit einem Schlüsselanhänger. Da hob selbst ihr Traumatherapeut die Adlerbraue.) Sie weigerte sich, es wahrzunehmen, und deshalb hob sie gleich darauf ihren Blick, um ein irgendmöglich gutmütiges Dementi in den Augen des Irren zu erheischen.
    Hatte er überhaupt Lider? Wimpern waren nicht zu erkennen, und in den Tiefen der waschbärartig schwarzgefärbten Höhlen glänzten Iris, schmal gerändert von rosa-weißem Marmor, aber so schwarz, daß sie aussahen wie riesige Pupillen. Ellen hielt das nicht aus, und ohnehin überwältigte sie nun der Gesamteindruck des Schädels. Wenigstens war es keineswegs so, daß das Gehirn frei lag. Es war nur eine Tätowierung des kantigen Kahlkopfs. Eine illusionistische Arbeit in der Tradition eines Trompe-l’Œil; sie reichte bis hinunter zu jenem Knochengesims, das statt mit Brauen mit je einem Dutzend kleiner goldener Ringe geschmückt war. Das Stummelgehörn allerdings war keine Täuschung, sondern definitiv dreidimensional. (Eine Implantation aus Teflon.) An dem einen Horn haftete die feuchte Cellophanhülle einer Zigarettenschachtel. Beifang.
    Trotz der Strapazen atmete er gar nicht schwer, eher wie unter positivem Streß oder wie jemand, der gerade einen längeren Witz erzählt hat. Und doch vernahm man erhebliches Schnaufen. Was wohl dem abgenagten Poulardenknochen geschuldet war, der quer in der Nasenscheidewand steckte. Die hageren Wangen zierte je ein Narbenmikado, und wenn ihn etwas menschlich erscheinen ließ, dann die fünf, sechs Schönheitsfehler bzw. – flecken, die offenbar von Mückenstichen herrührten. Seinen Lefzen entnahm er nun den knapp ellenlangen Dolch (einen Yoroi-dōshi, mit dessen Panzerklinge Samurai einst des Gegners Rüstung zu durchdringen sowie ihn zu köpfen vermochten) und lächelte.
    Lächelte blutig. Obwohl der Dolch einschneidig war, hatte sein Besitzer sich einen winzigen Schnitt in der Oberlippe zugezogen – bei der Aktion an der Palme oder beim Eintauchen ins Wasser, oder wann immer. Es tropfte und tropfte. Doch er lächelte, lächelte mit viel Zunge und Zahnfleisch. (Anderthalb Wochen zuvor, so sollten die Ermittlungen später ergeben, hatte er einen kokainsüchtigen Wellingsbütteler Kieferchirurgen dazu bewogen, ihm bis auf die Backen- sämtliche Zähne zu ziehen.) Die Ohren – der Eindruck hatte also nicht getäuscht – fehlten. (Hatte er angeblich eigenhändig entfernt, mit einem Teppichmesser, schon vier Wochen vorher. Die Wundmale, die sich um die Löcher mit den
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