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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
Autoren: Sebastian Niedlich
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Kapitel 1
    Es hat etwas seltsam Beruhigendes zu wissen, dass ich in Kürze sterben werde. Ich muss mir keine Sorgen um Dinge mehr machen, die mir das ganze oder zumindest halbe Leben schon tierisch auf die Nerven gegangen sind. Steuern zum Beispiel. Versicherungen. Die Typen, die an U-Bahnhöfen stehen und einen anblöken, ob man noch alte Fahrscheine hat. Sardellen auf Schnitzeln. So was halt.
    Selbstverständlich liegt in der Ruhe auch ein gewisser Anteil Panik. Habe ich alles geregelt? Habe ich den Wasserhahn der Waschmaschine abgedreht? Alle Zeitschriften-Abos gekündigt? Die Pflanzen gegossen? Ich will ja nicht, dass sich meine Familie hinterher um diesen ganzen belanglosen Kram kümmern muss. Überhaupt: Wie wird es meiner Familie ergehen? Nun gut, eventuell ist meine Panik doch größer, als ich mir selbst eingestehen will.
    Im Gegensatz zu den meisten, wenn nicht sogar allen anderen Menschen habe ich eine ziemlich gute Vorstellung davon, wann ich ins Gras beißen werde. Mir ist nicht ganz klar, wie es passieren wird, aber den Zeitrahmen, das genaue Datum kenne ich. Ich gehe davon aus, nein, ich weiß bereits, dass ich bei einem Unfall sterbe, was gewissermaßen dem eingangs erwähnten Panikanteil zugutekommt. Aber das ist sicher nicht meine Idealvorstellung. Im Schlaf zu sterben wäre schön, aber die Möglichkeit kann ich ausschließen, denn es ist mitten am Tag, und ich sitze auf einer Bank im Lustgarten vor dem Berliner Dom. Die Wahrscheinlichkeit, bei meiner aktuellen Gemütslage einzuschlafen, noch dazu auf einem frequentierten, öffentlichen Platz, schätze ich eher gering ein. Abgesehen davon, weiß ich aus eigener Erfahrung, dass die Leute, die „im Schlaf“ gestorben sind, eigentlich nicht schlafend starben, sondern zuerst wach wurden und dann das Zeitliche segneten. Meistens begleitet von einem unschönen Laut aus ihrer Kehle. Insofern ist meine Idealvorstellung vom Tod, schlafend sterben, also gar nicht so ideal – oder schlicht und einfach nicht machbar. Man könnte also sagen, dass es so etwas wie den idealen Tod nicht gibt. Und unausweichlich ist er auch, also versuche ich erst gar nicht mehr, etwas dagegen zu unternehmen.
    Ich verbringe meine letzten Stunden und Minuten also damit, den Leuten beim Leben zuzuschauen. Auf der Bank neben mir stillt eine junge Mutter in Juteklamotten ihr Kind. Spontan schießt mir das Wort „Brustkrebs“ durch den Kopf.
    Eine Gruppe von Mittzwanzigern wirft sich eine Frisbee-Scheibe zu. Ob sie sich auch noch so amüsieren würden, wenn sie wüssten, dass sie nächstes Jahr zu dieser Jahreszeit nicht mehr vollzählig sind?
    Ein Pärchen liegt auf der Wiese und knutscht so heftig an sich herum, dass man sich fragt, ob sie gleich alle Hemmungen fallenlassen. Der Typ wird die Frau mit Aids anstecken und sich in einem halben Jahr vor die U-Bahn werfen. Sie hat noch ein paar Jahre vor sich und wird es ihm gleichtun, was sie im Grunde ihres Herzens als romantisch empfindet.
    Ein kleines Mädchen springt nur in Unterwäsche durch den feinen Nebel des Brunnens und lacht dabei, wie nur kleine Kinder es können. Ein älterer Mann, der sich mühsam an einem Stock fortbewegt, ergreift mit seiner freien Hand die seiner Frau, welche sie zärtlich zurückdrückt.
    Meine Gabe, den Tod anderer Leute voraussehen zu können, hat schon was. Gibt ein prima Partyspiel. „Hey, ich sage euch, wer als Nächstes stirbt!“ Spaß für die ganze Familie!
    Während ich hier also so sitze und mich der Weltschmerz packt, versuche ich, mein Mitgefühl zu zügeln. Die Leute sind mir nicht egal, aber ich habe mittlerweile gelernt, dass ich nicht allen helfen kann. Früher, da hätte ich mich wohl in ihr Leben eingemischt. Jetzt? Jetzt freue mich einfach nur darüber, dass die Menschen hier das Leben in wenigstens diesem einen Augenblick genießen. Und irgendwie fühle ich mich deswegen besser. Weil die anderen sich wohl fühlen. Es beruhigt mich ein wenig.
    Der Freund, auf den ich gewartet habe, taucht plötzlich neben der Bank auf und begrüßt mich. Für einen Moment versucht die Panik, wieder von mir Besitz zu ergreifen, aber ich unterdrücke den Impuls. Im Grunde freue ich mich sogar, ihn zu sehen.
    Ein Schmetterling fliegt vorbei. Spontan schauen wir ihm beide hinterher. Ich bemerke, dass die Finger meines Freundes instinktiv nach dem Kescher greifen, den er an die Bank gelehnt hat, aber dann lässt er die Hände wieder in seinen Schoß sinken und lächelt mich an.
    „War nur ein
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