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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
Autoren: Sebastian Niedlich
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bestimmten Altersgrenze und Leute unter einem bestimmten Intelligenzquotienten finden das sehr, sehr langweilig.
    Während ich also von den pelzigen Viechern schwärmte, die im nächsten „Star Wars“-Film vorkommen sollten, versuchte mir der Tod, einen philosophischen Film nahezulegen. Unsere Zeit war, so schien es, einfach noch nicht gekommen. Er kam zwar zu Besuchen, aber diese waren spärlich und meistens kurz. Und in zumindest einem Fall tödlich.
    ***
    Nach dem Tod meiner Oma wurden Gerrit und ich Freunde. Das Fehlen von Großeltern auf beiden Seiten wurde so etwas wie der anfängliche Kitt, um uns zusammenzuhalten, aber bald schon fanden wir genug andere gemeinsame Interessen.
    Er lebte allein mit seiner Mutter, deren Mann vor ein paar Jahren zum Zigarettenholen ging und vorsichtshalber nicht mehr nach Hause kam, weil sie ihm beinahe den letzten Nerv geraubt hatte. Gerüchteweise hatte er sich nach Tuvalu oder einer anderen Insel im Südpazifik abgesetzt, was so ziemlich dem Punkt entsprach, der am weitesten von ihr weg war. Seitdem war sie vielleicht etwas zu fixiert auf Gerrit und versuchte, ihn vor allem und jedem zu beschützen. Er durfte nur selten irgendwelche Filme sehen, geschweige denn mit einem Videospiel spielen. Da bei mir zu Hause sowohl ein Videorecorder samt vielen Filmen als auch eine Atari-2600-Spielkonsole stand, war Gerrit öfter bei mir als ich bei ihm. Sehr viel Interesse, zu ihm zu gehen, hatte ich ohnehin nicht, da seine Mutter mich mit ihrer Art irgendwie erschreckte. Damals dachte ich, dass sie gut die Hexe in „Hänsel und Gretel“ spielen könnte, wenn die Geschichte verfilmt würde.
    In der Schule saßen wir zunächst nicht zusammen, aber im folgenden Schuljahr änderte sich das, als wir einen neuen Klassenraum bekamen. Ohne mich groß anzustrengen, war ich ein sehr guter Schüler, Gerrit hingegen hatte immer irgendwie zu kämpfen. Mehr als einmal half ich ihm bei Klassenarbeiten oder Hausaufgaben. Wenn er irgendwas gefragt wurde und nicht zugehört hatte, weil wir gerade unter dem Tisch Klebekarten von Fußballspielern tauschten, dann murmelte ich ihm die Antwort zu, so dass der Lehrer das nicht mitbekam. Allerdings ist es nicht so, dass sie es nie bemerkt hätten. Das Dumme daran war leider, dass sie offenbar nur Gerrit auf dem Kieker hatten. Zu mir sagten sie höchstens, dass ich nicht noch die „Faulheit von anderen Schülern“ unterstützen sollte. So wurden wir bei Klassenarbeiten weit auseinandergesetzt, aber wenn ich sah, dass er Probleme hatte, dann schob ich ihm schon mal Zettel zu. Einmal wurden wir dabei erwischt, das heißt, eigentlich war nur wieder einmal Gerrit dran. Während ich mir die Standardaussage anhören durfte, wurde Gerrits Mutter in die Schule zitiert, was wiederum dazu führte, dass Gerrit daheim eine ordentliche Standpauke und Hausarrest bekam. Ich vermute, dass Gerrit zu diesem Zeitpunkt ebenfalls sehr über Tuvalu nachdachte.
    Jedenfalls war Gerrit daraufhin auf mich sauer, und es kam während einer Pause zu einem Streit, bei dem er sich lautstark beschwerte, dass ich ihn immer in Schwierigkeiten bringen würde. Er fing an, mich zu schubsen, ich schubste ihn zurück, der aufsichtführende Lehrer bekam das mit, und am Ende war es wieder Gerrit, der den Ärger abbekam, weil er mit der Schubserei angefangen hatte. Unser Verhältnis war danach nicht mehr ganz so freundschaftlich. Sicher, wir spielten noch miteinander, aber längst nicht mehr so oft. Es war nie mehr so wie früher. Der Nutznießer war Tod, für den ich dann wieder öfter das Schachbrett abstaubte.
    ***
    Wie ich bereits erwähnte, war ich in der Grundschule ein sehr guter Schüler. Aber meistens kompensieren gute Schüler ihre Noten dadurch, dass sie im Sport totale Nieten sind. Von dieser Regel stellte ich keine Ausnahme dar. Drei Runden um den Sportplatz zu rennen, empfand ich nicht mal unbedingt als physische Qual. Es langweilte mich einfach nur. Wenn ich die rote Tartanbahn entlangtrabte, dachte ich lediglich: „Ugh, wann ist dieser Mist endlich vorbei!“ Bis heute hat sich mir nicht erschlossen, was es im Alltag hilft, wenn ich auf einer bestimmten Strecke über eine bestimmte Anzahl Hindernisse hüpfen kann. Wenn ich irgendwo Hindernisse sehe, springe ich nicht darüber, ich gehe um sie herum. Ein praktischer Verwendungszweck für die Fähigkeit, schwere Kugeln von der Schulter zu stoßen, um einen Rasen zu ruinieren, fällt mir partout auch nicht ein.
    Einmal im Jahr wurden
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