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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
Autoren: Sebastian Niedlich
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Schmetterling“, höre ich ihn sagen.
    „Wann ist es so weit?“, höre ich mich sagen.
    „Bald.“ Er schaut interessiert zu den Menschen hinüber, die ich beobachtete. „Aufgeregt?“
    „Kann’s kaum erwarten“, entgegne ich sarkastisch.
    „Ernsthaft, bitte.“
    „Momentan weiß mein Körper nicht so richtig, was er fühlen soll, glaube ich.“
    „Das Problem hast du dann nicht mehr.“
    „Ich sag ja... kann’s kaum erwarten.“
    Schweigend schauen wir dem Treiben zu, welches sich vor uns abspielt. Mein Freund fängt an, „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ zu pfeifen, und obwohl ich mich selbst dafür hasse, muss ich anfangen zu kichern.
    „Weißt du, es ist irgendwie schön zu wissen, dass ein Freund bei einem ist, wenn man dorthin geht, wohin man eben geht, wenn man das Zeitliche segnet.“
    Als er seinen von der Kapuze halb verdeckten Kopf zu mir herüberdreht, hört er auf zu pfeifen und grinst. Ebenso breit, wie er es bei unserer ersten Begegnung vor all diesen Jahren tat, bevor ich wusste, dass er der Tod ist.

Kapitel 2
    Ich traf den Tod das erste Mal, als ich sieben Jahre alt war. Bis dahin hatte ich mein Leben einigermaßen normal verbracht, zumindest möchte ich das glauben. Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht an viele Geschehnisse erinnern, die vor diesem Tag passiert sind. Fast kommt es mir vor, als hätte jemand mein Leben an diesem Tag angeknipst, während ein anderes ausgeknipst wurde. Bei Letzterem handelte es sich um das meiner Oma.
    Soweit ich mich erinnern kann, war meine Oma eine sehr nette Frau. Zumindest meine ich, mich früher immer gefreut zu haben, wenn wir sie besuchten. Bis auf die Knutscherei. Die verwandtschaftliche Küsserei mochte ich als Kind schon nicht und bleibt mir bis heute ein Rätsel. Später habe ich mich über Besuche bei ihr dann nicht mehr so sehr gefreut, was wahrscheinlich daran lag, dass sie immer merkwürdiger wurde. Sie begann langsam alles zu vergessen, war allgemein ganz schusselig und wurde in der Küche zu einer Gefahr für sich und ihre Umwelt. Ihr Kassler Braten an Whiskey mit Schokolade bleibt unvergessen.
    Zum Zeitpunkt ihres Todes hatte sie schon einige Zeit im Krankenhaus verbracht. Sie war abgemagert und sprach mittlerweile praktisch gar nicht mehr. Jeden Sonntag fuhren meine Eltern und ich zu ihr und verbrachten ein paar Stunden dort. Da das Krankenhaus am anderen Ende der Stadt war, gab es eine entsprechende Fahrzeit mit dem Auto. Für den kleinen Jungen von damals bedeutete dies, dass er für eine ganze Weile von seinen heißgeliebten „Star Wars“-Figuren getrennt war. Das klingt rückblickend wie eine arg herzlose Einstellung, aber meinem siebenjährigen Ich kann ich da keine Vorwürfe machen. Ich wollte meine Oma sehen, und ich habe sie auch wirklich gemocht, aber da die Gespräche zwischen meinen Eltern und ihr recht einseitig verliefen, in Anbetracht der Tatsache, dass sie mit Augen zurückstarrte, in denen kein Funke des Erkennens zu finden war, dann empfand ich meine Großmutter bereits als halb im Jenseits. Und verdammt noch mal, ich mochte meine „Star Wars”-Figuren.
    Das dunkle Gemäuer des Krankenhauses machte auf mein junges Ich bereits einen etwas jenseitigen Eindruck. Tiefrote Backsteine, die fast schwarz hinter den knochigen Bäumen an der Straße hervorlugten, die Innenräume beherrscht vom Geruch nach Körperflüssigkeiten und Putzmittel, der sich über den kalten Linoleumboden fortzupflanzen schien. Bei einigen Besuchen hatte ich Leichenwagen vor diesem oder jenem der Häuser stehen sehen. Glücklicherweise bemerkten dies wohl relativ wenige Patienten, sonst hätten die Bestatter gleich noch mehr Kunden mitnehmen dürfen. Instinktiv wurde ich als Kind kein Fan von Krankenhäusern, was rückblickend betrachtet eine Ironie des Schicksals ist, wenn man bedenkt, wie viel Zeit ich später in ihnen verbringen sollte.
    Die Station, auf der meine Oma lag, befand sich im ersten Stock und schien nur gebrechliche oder verwirrte ältere Menschen zu beherbergen. Die eingefallenen Gesichter, langen Ohrläppchen und überdimensionalen Nasen ließen bei mir im Geist eine Art Horrorversion der „Muppet Show“ ablaufen. Für mich waren Krankenhäuser eher Horte des Sterbens statt des Lebens, obwohl sie wahrscheinlich mehr Leben hervorbrachten und -bringen, da die meisten Kinder in Krankenhäusern auf die Welt kommen.
    An diesem Tag trottete ich hinter meinen Eltern die Treppe in den ersten Stock hinauf, wie wir es, so empfand ich es damals,
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