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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
Autoren: Sebastian Niedlich
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die sogenannten Bundesjugendspiele abgehalten. Man musste sprinten, einen Ball möglichst weit werfen, eine Langstrecke laufen und vermutlich noch irgendetwas tun, was ich zu verdrängen versuche. Für alles gab es Punkte und ab einer bestimmten Punktzahl eine Siegerurkunde oder, wenn man wirklich gut war, eine Ehrenurkunde. Beide waren im Grunde ein einfaches Stück Papier, was einem in keinster Weise weiterhalf. In meiner gesamten Schullaufbahn habe ich, soweit ich mich erinnere, eine einzige Siegerurkunde bekommen. Wie ich das geschafft habe, ist mir noch heute ein Rätsel.
    Meine Schule hatte nur einen kleinen Sportplatz, der zwar für ein Hockeyspiel oder Ähnliches ausreichte, aber nicht, um dort größere Veranstaltungen durchzuführen oder Dinge wie Speerwurf zu trainieren. Ebenfalls eine der „brauche-ich-täglich“-Sportarten. Dafür gab es einen größeren Sportplatz, zu dem wir allerdings ein paar Minuten laufen mussten. Er war die Heimat des lokalen Fußballvereins, zu dem mich mein Vater eines Tages schleppte, damit ich mich in meiner Freizeit etwas sportlich betätigte, statt nur mit mir selbst Schach zu spielen. Meine Karriere dort beschränkte sich aber auf die eine Stunde des Probetrainings. Der Trainer sprach mich von jeglichem Talent frei, nachdem ich ihm überzeugend darlegen konnte, dass sich mir der Sinn, eine geflickte Kugel aus Leder quer über den Platz zu jagen, nicht wirklich erschloss.
    Auf jeden Fall war der Platz recht groß, und die Teenager der angeschlossenen Oberschule hatten dort parallel zu unserem ihren Sportunterricht. Während die einen um den Platz liefen, konnten die anderen Bälle oder eben Speere werfen. Und wer jetzt eine Vermutung hat, was dort hätte schieflaufen können, der liegt wahrscheinlich richtig damit. Kleiner Tipp: Es hatte nichts mit Bällen zu tun.
    ***
    Das Wetter konnte sich an diesem Spätsommertag nicht entscheiden, ob es regnen oder einfach nur alles grau in grau halten sollte. Unser Sportlehrer, Herr Marwig, ein äußerst unangenehmer Enddreißiger, der aus uns allen Olympiateilnehmer formen wollte, weil er selber es nur zum Lehrer gebracht hatte, ließ uns abwechselnd Runden drehen. Eine Hälfte der Jungen unserer Klasse rannte um den Platz, die andere Hälfte machte, wie er es in einem Anflug von gequälter englischer Sprache ausdrückte, „Dehning und Stretching“. Bei mir bedeutete das meistens, dass ich einfach nur auf dem Boden saß, die Beine von mir streckte und die Leute beobachtete. Gerrit saß ein paar Meter weiter, presste die Füße zusammen und tat so, als würde er seine Beine auf den Boden drücken, aber sein Gähnen deutete an, dass er wieder die ganze Nacht lang „Lustige Taschenbücher“ gelesen hatte.
    Die andere Gruppe hatte etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als ich am Rand der Rasenfläche plötzlich den Tod stehen sah. Wie immer hatte er sich auf den Stock des Keschers gestützt und schaute sich um. Als er mich sah, winkte er mir freundlich lächelnd zu. Ich stand auf und ging so unauffällig wie möglich zu ihm hinüber, wobei ich weiterhin Streckübungen machte, damit Marwig nicht stutzig wurde.
    „Was machst du denn hier?“, fragte ich, eventuell etwas zu barsch.
    „Danke, freut mich auch, dich zu sehen.“
    „Im Ernst, ich kann gerade nicht.“
    „Ich bin nicht wegen dir hier.“
    Ich wurde stutzig. „Du meinst, hier stirbt gleich einer?“
    Er nickte. Die anderen Jungs hatten drei Viertel der Strecke zurückgelegt.
    „Sag bloß, dass der Marwig gleich abkratzt. Das wäre zu schön, um wahr zu sein.“ Sportlehrer waren mir schon immer die liebsten.
    „Nein, dein Lehrer ist es nicht. Aber ich vermute, du kennst ihn.“ Tod deutete auf die Jungs, die sich noch ausruhten. Ich folgte mit den Augen seinem Finger, und was ich sah, gefiel mir gar nicht.
    „Gerrit?“ Ein paar Augen meiner Mitschüler, darunter die von Gerrit, schauten in meine Richtung. Ich sah schnell weg und versuchte, mich zu beruhigen.
    „Seine Zeit ist gekommen.“
    „Was? Das kann doch gar nicht sein. Er ist gerade erst acht!“
    „Deswegen kann es ihm trotzdem passieren.“
    „Wie?“
    Tod schaute in Richtung der Oberschüler. Deren Speere steckten kreuz und quer im Rasen, als hätte jemand talentfrei versucht, einen Haufen Zaunpflöcke aufzurichten. Mittlerweile trudelten die Jungs, die gerannt waren, nacheinander ins Ziel. Marwig hieß uns andere an die Startlinie zu gehen.
    „Oh mein Gott!“, sagte ich. „Ich muss ihn
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