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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
Autoren: Sebastian Niedlich
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reichten. Außerdem musste ich ein Hemd anziehen, dessen Kragen in der Zwischenzeit auch recht eng geworden war. Mit frischem Scheitel und wie aus dem Ei gepellt, aber mit hochrotem Gesicht aufgrund des engen Kragens fand ich mich dann im Nieselregen auf dem Friedhof wieder. Selbstverständlich regnete es. Wie merkwürdigerweise auf allen Beerdigungen, bei denen ich jemals anwesend sein sollte.
    Wir waren allein, meine Eltern und ich, wenn man von dem Urnenträger absieht. Freunde und Verwandte hatte meine Oma kaum noch. Ein paar Verwandte hatte sie noch im „Osten“, aber die durften entweder nicht ausreisen oder hatten jetzt, nachdem sie keine Pakete mehr schicken konnte, herzlich wenig Interesse an ihr. Der Urnenträger fragte, ob er ein paar Worte sagen sollte, und meine Mutter nickte nur. Bei der anschließenden generischen Rede, die auf so ziemlich jeden Menschen auf der Welt hätte zutreffen können, brachte er es tatsächlich fertig, meine Oma statt „Christel“ immer „Christa“ zu nennen. Meine Eltern schwiegen, aber ich zuckte innerlich bei jeder Nennung des falschen Namens zusammen. Als die Urne endlich versenkt war, drückte mein Vater dem Träger etwas Geld in die Hand, und wir liefen zurück zum Auto.
    Als meine Eltern sich bereits umgedreht hatten, blieb ich noch ein paar Sekunden stehen und schaute zu der Gestalt im Umhang hinüber, die zwischen ein paar Büschen aufgetaucht war und mir zunickte. Ich winkte ihm zu, aber da riefen auch schon meine Eltern nach mir, und ich lief hinterher.
    Daheim befreite ich mich aus der lästigen Bekleidung. Ich bekam wieder eine normale Gesichtsfarbe und vergrub mich in meinem Zimmer mit meinen Spielsachen. Ohnehin wusste ich nicht wirklich, was ich zu meinen Eltern, besonders zu meiner Mutter, an diesem Tag hätte sagen sollen. Aber auch ich stand etwas neben mir. Bis zu dem Tag war mir der Vorfall im Zimmer meiner Oma irgendwie unwirklich erschienen, aber nun hatte ich den Tod auf dem Friedhof wiedergesehen. Während ich noch vor mich hin grübelte, kam von meinem Bett die bekannte, freundliche Stimme, die mich vollends vom Spielen abhielt.
    „Sei gegrüßt.“
    Ich schaute auf und blickte unwillkürlich zur Tür, die wie üblich offen stand. Aus diesem Grund flüsterte ich. „Hallo.“
    Tod saß auf meinem Bett, hatte ein Bein über das andere geschlagen und den Kescher ans Regal mit meinen Büchern gelehnt. „Ich wollte nur mal schauen, wie es dir geht.“
    Ich zuckte nur mit den Schultern.
    „Es tut mir sehr leid wegen deiner Großmutter. Vorhin auf dem Friedhof wollte ich dich aber nicht stören.“
    „Schon okay“, sagte ich und hantierte an Han Solo, meiner Lieblingsfigur von „Star Wars“, herum. „Wie bist du hier hereingekommen?“
    „Oh, ich kann überall sein, wo ich will.“
    „Häh? Wie geht das denn?“
    „Na ja, ich bin technisch gesehen kein Mensch. Ich bin … übernatürlich. Bei übernatürlichen Wesen geht das.“
    „Dann kannst du überall hingehen?“
    „Ja.“
    „Dann kannst du auch zu meiner Oma gehen?“
    „Äh, nun ja … sie ist tot.“
    „Ja, schon, aber sie muss ja irgendwo sein. Sie ist doch bestimmt in den Himmel gekommen. Mein Religionslehrer sagt jedenfalls immer, dass gute Menschen in den Himmel kommen und böse Menschen in die Hölle. Und du hast gesagt, dass meine Oma ein guter Mensch gewesen ist.“
    „Das stimmt schon, aber ich denke, dein Lehrer ist da nicht unbedingt eine Koryphäe auf seinem Gebiet.“
    „Eine was?“
    „Ich wollte damit sagen, dass er nicht unbedingt Ahnung von der Materie hat. Was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass die meisten Leute, die sich mit Religion beschäftigen, bigotte Einfaltspinsel sind.“
    „Was heißt bigott?“
    Tod seufzte. „Ich glaube, wir sollten diese Konversation ein anderes Mal fortführen.“
    „Aber wenn Oma nicht im Himmel oder der Hölle ist, wo ist sie dann?“
    „Also vorhin wurde sie gerade auf dem Friedhof verscharrt. Ich schätze, dort wird sie immer noch sein.“
    „Das meine ich doch nicht.“
    Tod kratzte sich an der Kapuze. „Nein, das dachte ich mir schon. Ich weiß zwar, worauf du hinauswillst, ich weiß nur nicht, ob ich dir darauf jetzt eine befriedigende Antwort geben kann.“
    „Ich hoffe nur, Oma geht es gut.“
    „Darüber, Knabe, brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen. Mach dir lieber um die Lebenden Sorgen.“
    „Meinst du Mami und Papi?“
    Tod zuckte halb mit den Schultern, halb nickte er.
    „Mami geht
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