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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Tibor Rode
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PROLOG
    Vieles, was ich früher für unmöglich hielt, scheint nach den unglaublichen Erlebnissen der vergangenen Monate nun doch möglich zu sein. Dazu gehört auch, dass man mehr als nur ein Leben haben kann. Mein erstes Leben habe ich gemeinsam mit dem Namen Robert Weber hinter mir gelassen. Mein zweites Leben hat gerade begonnen. Und wie jeder Neugeborene werde auch ich nie wieder dorthin zurückkehren können, woher ich gekommen bin. Im Unterschied zu einem Säugling erinnere ich mich jedoch an meine vorherige Existenz – und kann daher erzählen, wie es zu ihrem Ende kam.
    Während ich dies aufschreibe, blicke ich über die unendliche Weite eines Meeres. An manchen Tagen, an denen der Wind stillsteht, erscheint nicht weit entfernt von der Küste eine Luftspiegelung, die man für eine kleine Insel halten könnte. Versucht man jedoch mit einem Boot zu ihr überzusetzen, löst sie sich immer mehr auf, je näher man ihr zu kommen scheint.
    An Avalon dachten einst die Italiener, als sie eine solche Fata Morgana in der Straße von Messina entdeckten. Avalon, die mystische Insel aus der Artussage: ein Ort, den nur Eingeweihte erreichen können. Ich verstecke mich nun schon seit Monaten vor denen, die an das Unmögliche geglaubt haben. Und wenn ich hier sitze und über all das Abenteuerliche und Fantastische nachdenke, was mir passiert ist – und was ich Ihnen von Beginn an erzählen möchte –, dann kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob nicht ich es bin, der auf Avalon sitzt und zur Küste der Normalsterblichen hinüberschaut. Denn alles um mich herum ist unwirklich geworden.
    Vielleicht gerade deshalb erkenne ich heute dort Zeichen, wo ich früher keine sehen konnte.
    Als kleiner Junge hätte ich eine Walnusshälfte stundenlang anstarren können, ohne auf die Idee zu kommen, dass sie mit ihrer Form und dem Muster ihrer rauen, von Furchen durchzogenen Oberfläche dem menschlichen Gehirn ähnelt. Ich war als Jugendlicher stolz darauf, die Schale nur mit der Kraft meiner Hand mühelos knacken zu können, wusste aber nicht, dass die Nuss wertvolle Fettsäuren enthält, die ausgerechnet dem Gehirn nützlich sind.
    Oder die Herbst-Zeitlose. Ich kannte sie als giftige Pflanze, die ich früher gemeinsam mit meinem Großvater aus dem Waldboden riss, um ihre Knollen meiner Großmutter zu bringen, damit sie daraus ein Hausmittel gegen ihre Gicht herstellen konnte. Was mir damals nicht auffiel, war die Ähnlichkeit zwischen dem Aussehen einer an Gicht erkrankten Zehe und der heilbringenden Knolle.
    Es ist diese unscheinbare Signatur der Dinge, die ich erst in jüngster Zeit entdeckt und verstanden habe.
    Es war keine Erleuchtung, die mir diese Erkenntnis verschaffte. Auch kein metaphysisches Ereignis im eigentlichen Sinn. Es war die Tatsache, dass mir etwas passierte, was scheinbar jedem von uns hätte geschehen können.
    Merkwürdig ist, dass es ausgerechnet mich als Physiker und Patentanwalt traf. Wäre mir der Zusammenhang früher aufgefallen, hätte ich ihn als Zufall abgetan.
    Inzwischen weiß ich, dass wir Menschen – wie alle anderen Dinge und Lebewesen auf dieser Erde – eine Signatur besitzen. Und alle Geschehnisse der vergangenen Monate standen im untrennbaren Zusammenhang mit meiner ganz eigenen Signatur.
    Und je länger ich darüber nachdenke, umso mehr bin ich der Überzeugung, dass Johann Elias Bessler alias Orffyreus und ich mit derselben oder wenigstens einer ganz ähnlichen Signatur geboren wurden – nur dass uns dreihundert Jahre trennen. Es ist daher folgerichtig, dass ich auch über ihn erzähle, denn aufgrund unserer Signaturen sind seine und meine Lebensgeschichte eng miteinander verwoben.
    Sollte ich auf meiner Reise nach Avalon – oder während meines Aufenthalts auf dieser sagenumwobenen Insel – doch noch für immer verloren gehen, möchte ich darauf hinweisen, dass nicht nur jeder Anfang unweigerlich auf ein Ende hinführt, sondern in jedem Ende immer auch ein neuer Anfang enthalten ist.
    Die Sonne geht nur auf, um im selben Augenblick woanders unterzugehen, und sie geht nur unter, um anderenorts gleichzeitig wieder aufzugehen. Und während Sonne und Erde einen scheinbar ewigen Kreislauf bilden, bin ich auf einen weiteren Beweis für die unendliche Kraft der Natur gestoßen:
    Das Perpetuum mobile.

1
    Der Mann vor mir schaute mich aus tiefliegenden blauen Augen an. Leicht hätte man den Ausdruck in seinem Blick für Trauer halten können, ich wusste aber, dass es vor allem Müdigkeit war.
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