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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Autoren: Random House
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Kapitel 1
    Prissy
    Ich möchte heute Abend nicht mit meinem Mann schlafen, aber vermeiden lässt es sich wohl nicht. Es ist fast ein halbes Jahr her, dass wir Sex hatten, und Howie scheint wild entschlossen, da wieder anzuknüpfen. Jedenfalls gibt es kaum Zweifel an seiner Absicht. Erstens ist heute Freitag, und zweitens hat Howie unseren Sohn bei einem Freund untergebracht, weil wir reden müssten. Doch Howie redet nur ungern, und so ist »reden« bei ihm meist ein Euphemismus für vögeln oder ficken. Er meint wohl, er könnte mir ein direktes Wort nicht zumuten.
    Die Morgensonne scheint hell, ich blinzle ins Licht und ziehe mir wie eine nervöse Braut die Laken bis zum Kinn, obwohl ich wirklich keine Angst vor einer Schändung haben muss. Im Moment jedenfalls nicht. Howie ist schon seit zwei Stunden auf den Beinen und absolviert sein Morgenprogramm: ein kurzer Lauf und eine Dusche, einige Textnachrichten, anderthalb Tassen schwarzen Kaffee und Rührei aus flüssigem Eiweiß, das in einer Art Milchkarton erhältlich ist. Ich muss mich von dem strengen Geruch seiner Sportkleidung abwenden, einem Haufen aus Nylon und Elastan, in dem sich immer noch Howies Schenkel und Waden abzeichnen. Natürlich liegen seine Klamotten auf dem Boden, gleich neben dem Wäschekorb. Ich bin es leid, ihn zu fragen, ob es denn so viel Aufwand sei, seine Wäsche ein paar Zentimeter weiter zu werfen.
    Am liebsten würde ich im Bett bleiben, damit ich ihm heute Morgen nicht gegenübertreten muss, aber Howie trödelt absichtlich herum und wartet darauf, dass ich aufstehe und Quentin für die Schule fertig mache. Howies Räuspern dringt aus der Küche, ein kehliger Laut, mehr das Röcheln eines Krebskranken im Endstadium als das Hüsteln eines siebenundvierzigjährigen Mannes, der, zumindest dem Anschein nach, so gesund ist, dass er mit seinen Cholesterinwerten prahlt, als handelte es sich dabei um hochbegabte Sprösslinge. Ich muss an seine Geräusche beim Sex denken, an das Grunzen und Stöhnen, und an die Grimassen, die er zieht, wenn er mit seiner behaarten Brust glitschig-schwitzig auf meiner nackten Haut liegt. Jetzt ist kein guter Moment, sich das vorzustellen, aber es ist bereits zu spät. Rasch überlege ich, welche Unpässlichkeit ich vortäuschen könnte. Einen verdorbenen Magen, eine Pilzinfektion, irgendeine Krankheit? Ich schließe die Augen vor der Morgensonne. Es gab eine Zeit, da konnten wir nicht die Finger voneinander lassen. Ich schlucke schwer an der Erkenntnis, wie viel sich geändert hat.
    Das ist doch ganz normal, beschwichtige ich mich. Unsere Ehe hat sich einfach vom leidenschaftlichen ins praktische Stadium entwickelt, das geht den meisten Ehen so. Bei mir rangiert Sex nicht mehr unter den Vorzügen der Ehe. An diese Stelle haben sich andere Annehmlichkeiten geschoben, beispielsweise habe ich jemanden zur Hand, wenn die Toilette verstopft ist, mein Auto alle 6000 Kilometer einen Ölwechsel braucht, die Einfahrt nach einem Schneesturm freigeschaufelt werden muss oder mir jemand etwas hoch oben aus dem Regal oder den Schränken holen soll.
    Nicht, dass ich meinen Mann nicht mehr lieben würde oder nicht gerne verheiratet wäre. Im Gegenteil, ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, nicht mit Howie verheiratet zu sein. Ich mag die Bezeichnung »mein Ehemann«, weil ich mir dabei immer wie ein kleines Mädchen vorkomme, das Familie spielt. Und auf Briefumschlägen oder Karten »Mr. und Mrs. Howard Montgomery« zu lesen, gibt mir dieses Gefühl, das wohl nur Angestellte kennen, die zum ersten Mal hinter ihrem Namen den Titel Geschäftsführer, Direktor oder Teilhaber sehen. Die förmliche Bezeichnung Mrs. Montgomery verleiht mir fast die Größe und Bedeutung einer Romanfigur.
    Auch nach sechzehn Jahren Ehe reagiere ich auf diese Anrede mit der nahezu gleichen Begeisterung wie beim ersten Mal, als wir im Clubhaus der Canadian Legion in Paradise Bay offiziell als Mr. und Mrs. Howard Montgomery vorgestellt wurden. Ich war so glücklich an jenem Tag, in meinem weißen Seidenkleid aus dem Model Shop in St. John’s. Tante Sade, die von sich behauptet, spirituell veranlagt zu sein, hatte damals angeblich eine Vision gehabt, in der ich ein weißes Kleid mit herzförmigem Ausschnitt und Tüllrock getragen hätte. Ich hatte mir zwar schon ein schlichtes, gebrochen weißes Kleid mit einer Perlenstickerei am Mieder gekauft, aber nun bestand meine Mutter darauf, es umzutauschen. Mom zerrte mich mit Tante Sade in jedes
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