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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort
Autoren: Linwood Barclay
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bevor wir den oberen Treppenabsatz erreicht hatten, wandte ich mich abrupt um und trat nach ihm, aberich war zu langsam. Er wich meinem Tritt aus, hielt die Waffe weiter auf mich gerichtet.
    »Was ist denn los?«, rief Cynthia aus Grace’ Zimmer.
    Ich trat durch den Türrahmen. Cynthia stand an Grace’ Schreibtisch. Erschrocken öffnete sie den Mund, als sie die Pistole in Rollys Hand sah.
    »Es war Rolly«, sagte ich. »Er hat Tess getötet.«
    »Was?«
    »Und Abagnall auch.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Frag ihn doch selbst.«
    »Halt die Klappe«, sagte Rolly.
    »Was hast du vor?« An Grace’ Bett blieb ich stehen und wandte mich zu ihm um. »Willst du uns beide umbringen und dann vielleicht auch noch Grace? Glaubst du allen Ernstes, du kannst so viele Menschen töten, ohne dass dir die Polizei auf die Schliche kommt?«
    »Was bleibt mir anderes übrig?«
    »Weiß Millicent davon? Ist ihr klar, dass sie mit einer Bestie zusammenlebt?«
    »Ich bin keine Bestie. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich hatte zu viel intus, und Connie Gormley hat mich provoziert, als sie plötzlich Geld sehen wollte. Es ist eben passiert. Einfach so.«
    Cynthias Gesicht war gerötet; mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Rolly an. Wahrscheinlich war das, was sie gerade gehört hatte, schlicht zu viel für sie. Im selben Moment drehte sie durch, so ähnlich wie an dem Tag, als sie die betrügerische Hellseherin hochkant aus unserem Haus geworfen hatte. Sie stieß einen Schrei aus undging auf Rolly los, doch er reagierte sofort und schlug ihr mit der Waffe ins Gesicht. Sie ging neben Grace’ Schreibtisch zu Boden.
    »Es tut mir leid, Cynthia«, sagte er. »Es tut mir wirklich leid.«
    Ich war drauf und dran, mich selbst auf ihn zu stürzen, doch im selben Augenblick richtete er die Waffe bereits wieder auf mich. »Mein Gott, Terry«, sagte er.
    »Es tut mir in der Seele weh, dass es keine andere Lösung gibt. Los, setz dich. Auf das Bett.«
    Er trat einen Schritt vor und ich setzte mich auf die Bettkante. Cynthia lag immer noch auf dem Boden. Blut lief über ihre Wange; mit seinem Schlag hatte er ihr eine böse Schramme zugefügt.
    »Wirf mir ein Kissen rüber«, sagte er.
    Das also hatte er vor. Er wollte durch das Kissen schießen, um den Knall zu dämpfen.
    Ich sah zu Cynthia. Ihre Rechte lag halb unter Grace’ Schreibtisch. Sie erwiderte meinen Blick und nickte fast unmerklich, als wollte sie sagen: »Vertrau mir.«
    Ich griff nach dem Kissen am Kopfende des Betts. Es war ein besonderes Kissen, auf dessen Bezug Mond und Sterne abgebildet waren.
    Ich warf es Rolly zu, aber mit so wenig Schwung, dass er einen halben Schritt vortreten musste, um es auffangen zu können.
    Und im selben Moment sprang Cynthia auf. Sie hielt etwas in der Hand. Etwas Langes, Schwarzes.
    Grace’ unbrauchbares Teleskop.
    Sie holte weit über die Schulter aus und zog dannihre begnadete Rückhand voll durch, legte alles in den Schlag, was sie an Kraft aufzubieten hatte.
    Er wandte sich um, sah noch das Teleskop heransausen, hatte aber nicht die geringste Chance. Als ihn das Teleskop mit Urgewalt an der Schläfe traf, hörte es sich allerdings ganz und gar nicht nach einem Tennismatch an. Das Geräusch erinnerte eher an einen Baseball, der mit voller Wucht auf einen Schläger trifft.
    Es war ein echter Homerun.
    Rolly Carruthers fiel wie ein Stein zu Boden. Es war ein Wunder, dass Cynthia ihn nicht erschlagen hatte.

FÜNFZIG
    »Okay«, sagte Cynthia. »Dann weißt du ja, was du zu tun hast.«
    Grace nickte. Ihr Schulranzen war gepackt. Darin befanden sich ihre Lunchbox, ihre Hefte und ein Handy. Ein brandneues, pinkfarbenes Handy. Cynthia hatte darauf bestanden. Grace hatte sich mit unserem Plan einverstanden erklärt, aber gleich Sonderwünsche geltend gemacht: »Aber ich will auch SMS . Es muss SMS haben!« Und glauben Sie bloß nicht, Grace wäre die Einzige in ihrer Klasse, die ein eigenes Handy besitzt. Tja, die Welt von heute.
    »Also, was machst du mit dem Handy?«
    »Wenn ich in der Schule bin, rufe ich an.«
    »Genau«, sagte Cynthia. »Und was noch?«
    »Ich sage der Lehrerin, dass sie hallo sagen soll.«
    »Richtig. Sie weiß Bescheid. Und sie macht es nicht vor der Klasse, damit du dich nicht genierst.«
    »Muss das denn wirklich jeden Tag sein?«
    »Das können wir ja jede Woche neu entscheiden«, sagte ich.
    Grace lächelte. Da sie nun endlich allein zur Schule gehen durfte, war es letztlich halb so wild, kurz zu Hause anrufen zu müssen.
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