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Faktotum

Faktotum

Titel: Faktotum
Autoren: Charles Bukowski
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    Eines Tages war ich wieder einmal wie üblich auf Achse und schlurfte die Straße entlang. Ich fühlte mich zufrieden und relaxed. Die Sonne schien, es war angenehm mild, gerade richtig. Eine friedliche Stimmung lag in der Luft. Ich ging an einem Häuserblock entlang, und auf halber Strecke stand ein Mann vor dem Eingang zu einem Laden. Ich ging vorbei.
    »Hey, KUMPEL!«
Ich blieb stehen und drehte mich um.
»Willst du’n Job?«
Ich ging zu ihm hin. Über seine Schulter konnte ich in einen
    großen dunklen Raum hineinsehen. Es gab da drin eine lange
    Werkbank, und zu beiden Seiten standen Männer und Frauen. Sie hatten Gegenstände vor sich liegen, auf die sie mit Hämmern einschlugen. Soviel man in dem trüben Licht erkennen konnte, schien es sich bei den Gegenständen um Muscheln zu handeln. Sie stanken auch wie Muscheln. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging weiter.
    Ich erinnerte mich, wie mein Vater jeden Abend nach Hause kam und meiner Mutter einen Vortrag über seine Arbeit hielt. Der Vortrag begann, sobald er zur Tür hereinkam, setzte sich während des ganzen Abendessens fort und endete im Schlafzimmer, wo mein Vater Schlag 8 Uhr » Licht aus! « brüllte, damit er sich ausruhen und neue Kräfte sammeln konnte für die Arbeit des nächsten Tages. Die Arbeit war sein einziges Gesprächsthema.
    An der nächsten Ecke hielt mich wieder einer an.
»Sag mal, Freund …«, begann er.
»Ja?« sagte ich.
»Ich bin Kriegsveteran, ausm ersten Weltkrieg. Ich hab für
    dieses Land mein Leben riskiert, aber jetzt wollen sie mich nicht mehr haben. Keiner will mir einen Job geben. Das ist der Dank dafür, daß ich meinen Kopf für sie hingehalten habe. Ich hab Hunger. Hilf mir doch mit ’n bißchen was aus …«
    »Ich hab keine Arbeit.«
»Du hast keine Arbeit?«
»Ganz recht.«
Ich ließ ihn stehen und ging auf die andere Straßenseite. » Du lügst! « schrie er mir nach. » Du hast Arbeit! Du hast einen
    Job! «
Ein paar Tage danach war ich soweit, daß ich mir einen suchen
mußte.
Der Mann saß hinter einem Schreibtisch und hatte ein Hörgerät im Ohr; das dünne Kabel lief ihm seitlich am Hals herunter und verschwand in seinem Hemd, wo er die Batterie hatte. Das Büro war dunkel und gemütlich. Er hatte einen abgetragenen braunen
    Anzug an, ein zerknittertes weißes Hemd und einen Schlips, der an den Rändern ausgefranst war. Der Mann hieß Heathercliff.
    Ich hatte sein Stellenangebot im Lokalblatt gelesen, und der Betrieb lag in der Nähe meiner Absteige.
Suche ehrgeizigen jungen Mann, der vorankommen will. Vorkenntnisse nicht erforderlich. Kann im Packraum anfangen und sich hocharbeiten.
Ich wartete draußen mit fünf oder sechs jungen Männern, die sich alle Mühe gaben, einen ehrgeizigen Eindruck zu machen. Wir hatten unsere Bewerbungsformulare ausgefüllt, und jetzt warteten wir. Ich wurde als letzter aufgerufen.
»Mr. Chinaski, warum haben Sie im Ausbesserungswerk bei der Eisenbahn aufgehört?«
»Na, weil ich bei der Eisenbahn keine Zukunft mehr sehe.«
»Aber die haben doch tüchtige Gewerkschaften, Krankenkasse, Altersversorgung …«
»In meinem Alter macht man sich um seine Altersversorgung noch keine Gedanken.«
»Weshalb sind Sie nach New Orleans gekommen?«
»Ich hatte in Los Angeles zu viele Freunde, bei denen ich den Eindruck hatte, daß sie meiner Karriere im Weg standen. Ich wollte irgendwohin, wo ich mich ungestört auf mein berufliches Fortkommen konzentrieren kann.«
»Aber wer garantiert uns, daß Sie es bei uns längere Zeit aushalten werden?«
»Niemand. Kann sein, daß ich wieder gehe.«
»Weshalb?«
»In Ihrer Anzeige hieß es, ein ehrgeiziger Mann hätte hier Zukunft. Wenn ich hier keine Zukunft für mich sehe, muß ich wieder gehn.«
»Warum haben Sie sich nicht rasiert? Haben Sie eine Wette verloren?«
»Noch nicht.«
»Noch nicht?«
»Nein. Ich habe mit meinem Vermieter drum gewettet, daß ich mir trotz Stoppeln im Gesicht innerhalb von 24 Stunden einen Job an Land ziehen kann.«
»Na gut. Wir geben Ihnen Bescheid.«
»Ich habe aber kein Telefon.«
»Das macht nichts, Mr. Chinaski.«
Ich ging wieder zurück in meine Absteige. Am hinteren Ende des schmierigen Korridors gab es ein Badezimmer. Ich nahm ein heißes Bad. Dann zog ich mich wieder an, ging raus und kaufte mir eine Flasche Wein. Zurück in meinem Zimmer, setzte ich mich ans Fenster, trank, sah mir die Leute in der Bar und die Passanten auf der Straße an. Ich trank langsam meinen Wein und überlegte wieder einmal, ob es
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