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Der Wolfstrank

Der Wolfstrank

Titel: Der Wolfstrank
Autoren: Jason Dark
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Lucy King lag im Bett. Sie hatte sich auf die Seite gedreht und schaute zum Fenster hin. Ihre Großmutter wusste genau, dass sie nicht schlief, dennoch stellte sie mit flüsternder Stimme die Frage.
    »Du schläfst noch nicht, Darling?«
    »Nein...«
    »Warum nicht?«
    »Keine Lust.«
    »Bitte, Lucy, das glaube ich dir nicht. Es ist fast Mitternacht. Da solltest du dir wirklich den Schlaf gönnen, den ein junger Mensch wie du braucht.«
    »Ich bin schon zwölf. Vergiss das nicht!«
    »Eben, Lucy, das habe ich nicht vergessen. Ganz und gar nicht. Ich weiß selbst, was Kindern in deinem Alter gut tut.«
    Lucy legte eine Pause ein. Von ihr war nur der Kopf mit den dunkelblonden Haaren zu sehen. Ansonsten hatte sie die Decke bis zum Kinn hochgezogen.
    Marlene ging näher und setzte sich auf die Bettkante. Dort atmete sie seufzend aus. Sie wollte ihrer Enkelin über das Haar streicheln, doch mit einer schnellen Bewegung drehte sich Lucy auf den Rücken und schaute der Großmutter ins Gesicht.
    »Er war wieder da!«
    Marlene King zuckte leicht zusammen. Sie wusste genau, wen Lucy damit gemeint hatte, dennoch schüttelte sie den Kopf.
    »Du glaubst mir nicht?«
    »Wer war da, Kind?«, fragte sie sanft.
    »Eben er – der Wolf!«
    Marlene King atmete tief ein. Es war nichts Neues für sie, dass ihre Enkelin darüber redete. Das hatte sie in den letzten Tagen öfter getan. Nur wollte Marlene King dies nicht akzeptieren, und sie schüttelte den Kopf.
    »Warum glaubst du mir nicht, Großmutter?«
    »Weil es keine solchen Wölfe gibt, Kind. Du hast ihn dir eingebildet, glaube mir.«
    »Nein, das habe ich nicht. Es gibt sie, ich weiß das. Ich weiß das ganz genau.«
    »Bitte, Kind, das ist doch Unsinn. Dieser Wolf existiert nicht. Du musst dich endlich mal davon lösen. Immer wieder sprichst du davon, aber das kann ich nicht akzeptieren. Hör auf damit. Sonst verrennst du dich noch in etwas.«
    »Ich weiß es besser. Er will, dass ich zu ihm komme. Ich soll in den Wald.«
    »Nein, das ist...«
    »Ich spüre das, Großmutter. Er ist kein normaler Wolf. Er ist etwas ganz anderes. Ein menschlicher Wolf.« Sehr ernst schaute sie der älteren Frau ins Gesicht, und Marlene King konnte nicht anders, sie musste plötzlich lachen.
    Das wiederum gefiel Lucy nicht. Sie senkte den Kopf und ballte die Hände zu Fäusten, während sie vor sich hinflüsterte und ihrer Großmutter dabei widersprach.
    »Wölfe wie du sie gesehen hast oder meinetwegen auch nur einen Wolf, die oder den gibt es im Märchen. Du erinnerst dich doch an die Rotkäppchen Geschichte. Als du noch kleiner gewesen bist, habe ich sie dir oft genug vorgelesen.«
    »Ja, das weiß ich.«
    »Märchen, Kind.«
    »Er war trotzdem hier.«
    »Und jetzt ist er weg, nicht?«
    Lucy setzte sich noch aufrechter hin und schüttelte den Kopf. »Nein, wer sagt denn so etwas? Er ist nicht weg. Er ist noch da. Ich spüre es.«
    Marlene King lachte leise. »Wenn es so wäre, dann müsste ich ihn doch auch gesehen haben. Aber er ist mir nie über den Weg gelaufen. Und ich wohne schließlich auch hier.«
    »Er ist da!«, behauptete das Mädchen.
    »Wo denn?«
    »Am Fenster!«, behauptete Lucy.
    Marlene drehte den Kopf. Sie wollte ihrer Enkelin den Gefallen tun, blickte hin, sah den viereckigen Ausschnitt und das Lächeln auf ihrem Gesicht zerbrach.
    Was sie sah, war unglaublich.
    Zwei gelbe Raubtieraugen starrten von außen her durch die Scheibe in das Kinderzimmer!
    ***
    Marlene King war nicht auf den Mund gefallen. Aber es gab Momente, da verschlug es selbst ihr die Sprache, und einen derartigen Moment erlebte sie. Wie erstarrt saß sie auf der Bettkante. Das Blut wich aus ihrem Gesicht.
    Es gab die Augen, und es gab den Kopf!
    Sie konnte es drehen und wenden wie sie wollte. Es war der Schädel eines Tieres. Allerdings sah sie seine Umrisse nur schwach. Trotzdem hatte sie ihn sich nicht eingebildet. Andererseits konnte sie einfach nicht daran glauben. Es gab keine Wölfe mehr in England, und der Kopf hinter dem Fenster musste einem Hund gehören, den ihre Enkelin mit einem Wolf verwechselt hatte.
    Ruhig!, sagte sie sich. Du musst ganz ruhig bleiben. Du kannst dir nicht erlauben, durchzudrehen. Du musst jetzt zeigen, dass du erwachsen bist, und dem Tier da draußen Paroli bieten. Es ist kein Wolf. Es ist ein Hund. Ein verdammter streunender Hund, nicht mehr.
    Aber besaß ein Hund diese Augen, die so gelb waren? Darin steckte etwas. Ein kaltes Feuer, etwas Unheimliches, das trotz der Kälte
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