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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort
Autoren: Linwood Barclay
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Pullover. Legte Make-up auf. Genug, um nicht völlig fertig auszusehen, aber nicht so viel, dass ihre Mutter wieder mal einen ihrer »Flittchen«-Anfälle kriegen würde.
    Als sie die Küche betrat, blieb sie wie angewurzelt stehen.
    Keine Frühstücksflocken, kein Saft, kein Kaffee in der Maschine. Keine Teller, kein Brot im Toaster, keine Tassen, weder Milch noch Rice Krispies. Die Küche sah genauso aus wie am Abend zuvor, nachdem ihre Mutter aufgeräumt hatte.
    Cynthia sah sich nach einem Zettel um. Ihre Mom hinterließ immer eine Notiz, wenn sie das Haus verließ, selbst wenn sie sauer war. »Bin heute nicht da«, stand dann dort, »Mach dir Rührei, muss Todd fahren«, oder einfach »Bin unterwegs, bis später«. Wenn sie böse auf Cynthia war, unterschrieb sie statt mit »Alles Liebe, Mom« nur mit »Mom«.
    Aber es war weit und breit kein Zettel zu sehen.
    Cynthia nahm ihren Mut zusammen und rief: »Mom?« Ihre eigene Stimme klang fremd in ihren Ohren. Vielleicht weil etwas darin mitklang, was sie sich nicht eingestehen wollte.
    Als keine Antwort von ihrer Mutter kam, rief sie: »Dad?«
    Wieder nichts.
    Sie kam zu dem Schluss, dass es sich offenbar um eine Strafe handelte, die sie sich für sie ausgedacht hatten. Sie hatte ihre Eltern enttäuscht, und jetzt taten die so, als sei sie Luft, bestraften sie auf die ganz miese Tour mit Schweigen.
    Okay, es gab Schlimmeres. Immer noch besser als jetzt gleich Riesenzoff am Morgen.
    Außerdem stand ihr ohnehin nicht der Sinn nach Frühstück; sehr unwahrscheinlich, dass sie es bei sich behalten würde. Sie nahm ihre Schulsachen und trat aus der Haustür.
    Der Journal Courier , mit Gummiband zusammengerollt, lag auf der Fußmatte.
    Cynthia stieß die Zeitung mit dem Fuß beiseite, ohne weiter darüber nachzudenken, ging die leere Einfahrt hinunter – sowohl der Dodge ihres Vaters als auch der Ford Escort ihrer Mutter waren nirgends zu sehen – und machte sich auf zur Jonathan Law Highschool. Vielleicht konnte sie ja aus ihrem Bruder herauskriegen, was los war und was sie sonst noch erwartete.
    Jede Menge Stress, dachte sie.
    Sie hätte um Punkt acht Uhr zu Hause sein sollen. Erstens, weil es ein ganz normaler Schultag war, und zweitens hatte am frühen Abend auch noch Mrs Asphodel angerufen und ihre Mutter informiert, dass sie wiederholt die Englischhausaufgaben vergessen hatte und ihre Versetzung gefährdet war. Ihren Eltern hatte sie vorgeschwindelt, sie würde zu Pam rübergehen undmit ihr zusammen Hausaufgaben machen, obwohl das ohnehin reine Zeitverschwendung gewesen wäre, und ihre Eltern hatten eingewilligt, aber darauf bestanden, dass sie um acht wieder zu Hause war. Cynthia hatte gemault, das sei doch viel zu wenig Zeit, ob sie etwa durchfallen solle?
    Acht Uhr, hatte ihr Vater gesagt. Acht Uhr und keine Sekunde später. Mir doch egal, hatte sie gedacht. Ich komme, wann es mir passt.
    Als Cynthia um Viertel nach acht noch nicht zu Hause gewesen war, hatte ihre Mutter bei Pam zu Hause angerufen. »Hi, hier ist Patricia Bigge«, hatte sie zu Pams Mutter gesagt. »Kann ich mal kurz mit Cynthia sprechen?« Und als Pams Mutter überhaupt nicht wusste, wovon die Rede war, hatte Cynthias Vater den alten Filzhut aufgesetzt, ohne den er nie aus dem Haus ging, und in den umliegenden Straßen nach ihr Ausschau gehalten. Er argwöhnte nämlich, dass sie sich mit Vince Fleming herumtrieb, einem siebzehnjährigen Jungen aus der elften Klasse, der bereits einen Führerschein hatte und einen verrosteten roten Ford Mustang Baujahr 1970 fuhr. Clayton und Patricia Bigge hielten nicht viel von ihm. Problematischer Bursche, zweifelhafte Familienverhältnisse, schlechter Einfluss. Vor einiger Zeit hatte Cynthia ihre Eltern abends über Vince’ Vater sprechen hören, der ihrer Meinung nach irgendwie Dreck am Stecken hatte, was Cynthia aber für totalen Schwachsinn hielt.
    Es war reiner Zufall, dass ihr Vater den Wagen im hintersten Winkel des Parkplatzes am Einkaufszentrum in der Post Road erspähte, einen Steinwurf von denMilforder Kinos entfernt. Er zog direkt vor den Mustang und versperrte Vince den Weg. Sie wusste gleich, dass er es war, als sie den Filzhut erblickte.
    »Scheiße«, sagte Cynthia. Gut, dass er nicht schon zwei Minuten vorher aufgetaucht war, als sie geknutscht hatten und Vince ihr sein nagelneues Springmesser gezeigt hatte. Gnadenlos – ein leichter Knopfdruck und urplötzlich schoss eine zehn Zentimeter lange Klinge heraus. Vince hatte das Teil im
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