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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort
Autoren: Linwood Barclay
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vielleicht ein wenig Licht ins Dunkel bringen konnte. »Kein Problem.«
    Paula schenkte mir ein professionelles Strahlelächeln und marschierte mit klackenden Absätzen auf die andere Straßenseite.
    Seit Cynthia und ich angekommen waren, hatte ich mich bewusst abseits gehalten. Ich hatte mir einen Tag vom Unterricht freigenommen. Der Direktor, mein langjähriger Freund Rolly Carruthers, wusste, wie wichtig die Sache für Cynthia war; ein Kollege vertrat mich in Englisch und kreativem Schreiben. Cynthia hatte sich ebenfalls einen Tag Urlaub genommen; sie arbeitete in einem Modegeschäft. Unsere achtjährige Tochter Grace hatten wir an der Schule abgesetzt. Grace hätte es wahrscheinlich überaus spannend gefunden, einem Fernsehteam beim Drehen zuzusehen, aber bei einer Produktion über die persönliche Tragödie ihrer Mutter hatte sie nichts zu suchen.
    Cynthias ehemaliges Elternhaus wurde inzwischen von einem pensionierten Ehepaar bewohnt, begeisterten Seglern, die ein Boot im Hafen von Milford liegen hatten und vor zehn Jahren hier eingezogen waren. Der Sender hatte dem Ehepaar Geld bezahlt, um das Haus für seine Zwecke nutzen zu können; die Crew hatte allen möglichen Nippes sowie private Fotos von den Wänden entfernt, damit das Haus möglichst so aussah wie damals.
    Ehe die Hausbesitzer zum Segeln fuhren, sprachen sie vor dem Haus in die laufenden Kameras.
    Ehemann: »Nicht auszudenken, was damals hier passiert sein mag. Manchmal denke ich, die ehemaligenBewohner müssen zerstückelt und in Säure aufgelöst worden sein.«
    Ehefrau: »Ab und zu kommt es mir vor, als würde ich Stimmen hören. So als würden ihre Geister im Haus herumspuken. Manchmal, wenn ich am Küchentisch sitze, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter, als wäre gerade einer von ihnen an mir vorbeigelaufen.«
    Ehemann: »Als wir das Haus kauften, wussten wir nicht, was hier passiert war. Jemand hatte es von der Tochter gekauft, es dann an jemand anders weiterverkauft, und von den Leuten haben wir es dann gekauft. Als mir später das eine oder andere zu Ohren gekommen ist, habe ich mich in der Stadtbibliothek schlaugemacht. Und mich gefragt, wieso sie eigentlich überlebt hat. Mal ernstlich, das ist doch wohl schon ein bisschen merkwürdig, oder?«
    Cynthia, die das Interview von einem der Transporter aus verfolgte, in denen das Fernsehteam angerückt war, rief: »Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Was meinen Sie damit?«
    Jemand aus dem Team fuhr herum und machte »Schsch«, aber damit war er bei Cynthia an der falschen Adresse. »Sie haben mir überhaupt nichts zu sagen«, zischte sie. In Richtung des Mannes rief sie: »Was wollten Sie damit andeuten?«
    Verblüfft sah der Mann zu ihr herüber. Offenbar hatte er nicht gewusst, das Cynthia anwesend war. Die Aufnahmeleiterin mit dem Pferdeschwanz ergriff Cynthia am Ellbogen und lenkte sie mit sanftem Druck hinter den Transporter.
    »Was soll das?«, fragte Cynthia. »Was wollte er damitsagen? Dass ich etwas mit dem Verschwinden meiner Familie zu tun habe?«
    »Kümmern Sie sich nicht um ihn«, sagte die Aufnahmeleiterin.
    »Sie haben gesagt, Sie wollten mir helfen«, sagte Cynthia. »Endlich Licht ins Dunkel zu bringen. Das ist der einzige Grund, warum ich zugesagt habe. Wollen Sie etwa senden, was er gesagt hat? Was sollen die Leute denken, wenn sie so etwas hören?«
    »Machen Sie sich keine Gedanken«, sagte die Aufnahmeleiterin. »Das wird nicht verwendet.«
    Anscheinend sorgten sie sich, dass Cynthia von einer Sekunde auf die andere abrauschen würde, ohne dass sie auch nur eine Minute mit ihr gedreht hatten; sie redeten auf sie ein, versuchten sie zu beschwichtigen, gaben nochmals zu bedenken, dass sich sicher jemand melden würde, der etwas wusste, sobald der Beitrag ausgestrahlt wurde. Was ihren Beteuerungen zufolge immer wieder vorkam. Sie hätten, sagten sie, jede Menge Fälle gelöst, die die Polizei längst zu den Akten gelegt hatte.
    Nachdem sie Cynthia erneut davon überzeugt hatten, dass sie aus rein ehrenhaften Motiven handelten, und der alte Sack mit seiner Frau zum Segeln abgedüst war, ging die Show weiter.
    Ich folgte zwei Kameramännern ins Haus, stellte mich dann aber ein wenig abseits, während sie sich positionierten, um aus verschiedenen Perspektiven aufzunehmen, wie Cynthia zögernd in ihre Erinnerungen eintauchte. Ich ging davon aus, dass sie das Filmmaterial im Studio nicht nur zusammenschneiden, sondern obendrein auf grobkörnig trimmen und mit
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