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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman
Autoren: Bernhard Aichner
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1.
    Zuerst Jo.
    Wie der schmächtige Pole schaute und zusammensank.
    Wie Jo ihn getreten hat, seinen Schuh tief in das polnische Fleisch schlug, wie die Waffe aus der polnischen Hand fiel, wie Jo das Bild nahm und rannte.
    Gehen Sie, hat der Pole gesagt. Das Bild bleibt hier und das Geld auch. Gehen Sie.
    Er hat Jo mit der Waffe bedroht, sie ihm unsicher entgegengestreckt, sie ihm an die Brust gedrückt. Seine Hand hat gezittert, sein Gesicht war gierig.
    Ein kleiner schmächtiger Mann. Und wie seine Hand zitterte.
    Gehen Sie, hat er immer wieder gesagt.
    Jo hat überlegt. Er hat die Waffe gespürt an seiner Brust, er hat auf die Tasche gestarrt, auf das Geld, sein Geld, und auf das Bild. Wie es blau dalag. Er würde es mitnehmen. Er hatte es gekauft, bezahlt mit seinem Geld, es dem Polen auf seinen Schreibtisch gelegt, er hat ihm so oft geschrieben, mit ihm telefoniert. Er war nach Warschau gekommen und er würde mit diesem Bild von hier weggehen. Einen anderen Weg zurück gab es nicht.
    Kommen Sie am Dienstag, hatte der Pole gesagt, dann habe ich das Bild hier, es ist aus der Mailänder Ausstellung, achthunderttausend, seien Sie pünktlich.
    Bin ich, hat Jo gesagt.
    Er packte das Geld in eine Tasche und fuhr nach Warschau, hinauf in den zweiten Stock, wo das Bild war. Er würde nicht ohne dieses Bild gehen. Er würde dem Polen zwischen die Beine treten und rennen, das Geld würde er liegen lassen.
    Jo rannte. Der Pole stöhnte und schrie. Er wollte Jo festhalten, ihm das Bild aus den Händen reißen. Er brüllte vor Schmerz, er wollte sich auf ihn stürzen, doch Jo war schneller. Er rannte einfach los. Durch die Tür hinaus, die Stiegen hinunter, hinaus auf eine dunkle Warschauer Straße. Er rannte immer weiter, er hörte, wie der Pole hinter ihm war, wie er sich am Geländer festhielt und nach unten stolperte. Er hörte, wie er keuchte. Jo drehte sich nicht um. Das Bild war unter seinem Arm. Nicht umdrehen, dachte er. Weiter­laufen, schnell.
    Er wollte dieses Bild. Unbedingt. Lange schon.
    Wie er es auspackte. Wie es oben auf dem Schreibtisch lag, wie der Pole ungeduldig mit den Fingerkuppen auf die Tischplatte trommelte und wie Jo die Pigmente unter dem Vergrößerungsglas betrachtete. Wie er die Leinenfasern bis 1957 zurückverfolgte. Es war echt, und es würde ihm gehören. Er würde mit diesem Bild über die Grenze fahren, es würde in seiner Stadt hängen, an seiner Wand. Alles war perfekt, sein Traum schien wahr zu werden, er hatte alles getan, was der Pole von ihm verlangt hatte, alles. Und trotzdem war da plötzlich diese Waffe, die ihn bedrohte. Ihn und alles, was ihm wichtig war.
    Das Bild. Das Geld, die Pistole.
    Mit großen Augen starrte er das Bild an. Mit aller Kraft trat er zu.
    Sein Fuß zwischen polnischen Beinen. Wie der kleine Mann in die Knie ging und wie Jo das Bild nahm. Wie er es fest an sich drückte. Ein blaues Bild über die Stiegen nach unten.
    Jo rannte. Der Pole bekam kaum noch Luft, er stolperte, der Abstand zwischen ihnen wurde größer. Niemand konnte mehr verhindern, dass Jo in den Wagen stieg. Niemand würde ihm sein Bild nehmen. Niemand.
    Mosca hatte ihn sofort gesehen, er hat gestartet und die Türe geöffnet.
    Schnell, schrie er. Fahr los. Jetzt. Bitte, Mosca, schnell.
    Der Pole blieb stehen. Die Arme auf den Knien abgestützt, wild schnaufend. Er hustete und spuckte. Im Rückspiegel kotzte er sich seine Seele aus dem Leib.
    Scheiß Pole, sagte Jo.
    Mosca lachte.
    Das war vor zwei Jahren.
    Mosca und Jo fuhren mit dem Bild über die Grenze. Es lag im Kofferraum, in eine Decke eingewickelt. Der Beamte winkte sie durch. Wie auf dem Hinweg. Sie schauten sich an und grinsten. Jo schrie vor Glück. Er hüpfte auf dem Sitz auf und nieder, bis Mosca stehenblieb, das Auto am Straßenrand anhielt und Jo um­armte.
    Jetzt hast du dein Bild, sagte er.
    Er strich mit der Hand über Jos Haare und küsste ihn. Jo wurde ruhig, er blieb in Moscas Armen liegen und spürte die vertraute Zunge in seinem Mund. Das Bild lag im Kofferraum. Ungeduldig berührten sich ihre Zungen. Jo wollte es ansehen, es in seinen Händen spüren, es halten, mit den Fingern über die Farbe streichen, es anschauen, die ganze Nacht lang. Er konnte es kaum noch erwarten, trotzdem blieb er sitzen.
    Ich warte, bis wir da sind. Auf das richtige Licht, und du machst den Wein auf. Fahr schnell, sagte er. Jetzt.
    Mosca brauchte zehn Stunden von Warschau nach Frankfurt.
    Sie fuhren zurück in ihr Hochhaus, in den
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