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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman
Autoren: Bernhard Aichner
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zweiund­dreißigsten Stock, in ihre sichere Welt, eng aneinander ihre Körper im Lift nach oben, das Bild in der Decke eingewickelt unter Jos Arm.
    Er hielt es fest. Seine Finger waren wie Schnüre, fest gebunden.
    Dann ging die Tür auf. Das Licht ging an. Und da war es dann.
    Wie es dastand, wie es an der weißen Wand lehnte, in dem weißen Zimmer.
    Ein blaues Bild von Yves Klein.

2.
    Olivier roch nach Müll.
    Deshalb hat ihn seine Frau verlassen. Weil er keinen normalen Beruf haben konnte. Weil er Müllfahrer war. Weil er täglich den Müll anderer Leute spazieren fuhr, weil er danach roch, wenn er nach Hause kam, weil sie sagte, dass es widerwärtig ist, Würmer und volle Windeln und Dreck herumzufahren. Sie ist einfach gegangen, hat ihre Sachen gepackt und ist weg. Sie kam nicht wieder.
    Du stinkst, hat sie noch einmal gesagt.
    Dann war sie weg.
    Das ist mein Beruf, hat er geantwortet, es ist ein guter Beruf.
    Das ist doch kein Beruf, hat sie gesagt.
    Er war wütend. Sie soll nicht undankbar sein, sagte er, was sie denn sonst essen sollten, fragte er, wo sie denn wohnen sollten, wenn er nicht die Scheiße der anderen Leute auf den Müll fahren würde. Sie würde ihren Arsch sowieso nicht in die Gänge bekommen, um Geld zu verdienen. Sie wäre wahrscheinlich ohnehin zu blöd dafür.
    Er war außer sich. Genauso wie sie. Sie sagte, dass er stinkt, dass sie ihn nicht mehr ertragen kann, dass er eine stinkende alte Drecksau ist.
    Dann ist er ins Wirtshaus. In einen Münchner Biergarten, ohne sich zu duschen.
    Dann stinke ich eben, hat er gedacht, aber ich weiß wenigstens warum.
    Und während er Bier trank, hat sie ihn verlassen, sie ist einfach weggegangen, hat ihm die Schlüssel da­gelassen und die Schulden für die neue Eigentums­wohnung. Sie ist einfach auf und davon.
    Das war vor einem halben Jahr.
    Danach trank er mehr als früher und las auch nicht mehr.
    Er hatte immer gerne gelesen, nach der Arbeit geduscht und in seinem Plüschsessel gelesen. Alles hat er gelesen, alles, was er in die Hände bekam, er stopfte es hinein in sich, egal, ob es wichtig war oder nicht.
    Er hat gelesen, obwohl sie ihn ausgelacht hat.
    Was willst du mit Kunstgeschichte, du bist Müllfahrer, Olli.
    Ich heiße Olivier, hat er gesagt und weitergelesen.
    Was weißt du schon, hat er gedacht, und von der Antike bis zur Gegenwart durchgelesen. Er hat sich in seinem Plüschsessel zurückgelehnt und die Welt um sich vergessen.
    Den Sessel hatte er aus dem Müll. Die guten Stücke hat er immer mitgebracht.
    Wir sparen viel Geld, hat er gesagt, und sie hat den Kopf geschüttelt.
    Jetzt bringt er schon wieder den Müll mit nach Hause, das ertrage ich nicht, hat sie gesagt.
    Sie hat lange den Kopf geschüttelt, hat ihn verachtend angeschaut, sich hübsch gemacht und ist ausgegangen.
    Fast jeden Abend, sie hat sich aushalten lassen von irgendwelchen Arschlöchern.
    Ich brauche dein Geld nicht, hat sie gesagt.
    Du hast ja diese Arschlöcher, hat er gesagt.
    Olivier war nicht eifersüchtig. Sie ist gegangen und er hat gelesen. Bücher, Zeitschriften, Stadtpläne, er hat sich keine Gedanken gemacht, was sie wohl tut, ob sie ihm treu ist. Sie kam immer wieder zurück und das beruhigte ihn. Er saß in seinem Plüschsessel und sie stolperte in Stöckelschuhen zur Tür herein. Halbnackt.
    Du schaust aus wie eine Nutte, hat er einmal gesagt.
    Er las gerade einen Artikel über Harninkontinenz, darüber dass man sie jetzt heilen kann, dass sie eine Methode gefunden haben. Eine medizinische Sensation. Und sie stand da und war wütend. Mehr als das. Sie ging zu ihm hin, steckte sich ihren Zeigefinger in den Hals und übergab sich über ihn. Es rann aus ihr heraus in sein Hemd und tief in den Plüschsessel hinein.
    Und du stinkst, sagte sie.
    Dann kotzte sie noch einmal. Dann schlug er sie. Ein paar Tage später hat sie ihn verlassen.
    Olivier war nicht traurig, als sie ging. Das glaubte er jedenfalls.
    Er hat begonnen, viel Alkohol zu trinken und Karten zu spielen.
    Im Biergarten gab es eine dunkle Ecke, in die er sich verlief. Dort verlor er sein Geld und trank Bier. Es rann in ihm hinunter und blieb liegen auf dem Eichentisch im Biergarten. Er fühlte sich allein, wenn er zu Hause war. Da war niemand mehr. Sie war nicht da, saß nicht mehr vor dem Fernseher, lackierte ihre Nägel nicht mehr. Auch wenn sie nie viel geredet hatten, vermisste er sie. Er konnte es nicht ertragen, in seiner Wohnung, die Nächte allein, unter der Decke. Er verbrachte seine
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