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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman
Autoren: Bernhard Aichner
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und stellte ihm den Fernseher zum Bett, den Olivier vier Monate vorher vom Sperrmüll nach Hause gebracht hatte. Nur ein paar Kratzer waren am Bildschirm, aber man sah sie nicht, wenn er an war. Atze stellte ihn ganz nah zum Bett, weil er die Fernbedienung nicht gefunden hatte zwischen all dem anderen Müll. Olivier lächelte dankbar und gequält.
    Du bist ein guter Mensch, Atze.
    Der sagte nichts darauf, nur, dass seine ältere Schwester Therapeutin ist, und dass er sie gleich anrufen wird, er wollte sie bitten zu kommen.
    Sie ist zwar alt und fett, aber sie weiß, was sie tut, sagte er.
    Atze wollte wiederkommen, er nahm den Schlüssel von der kleinen Fotze und ging.
    Olivier bewegte sich nicht.
    Er lag steif im Bett und suchte im Fernseher nach etwas, das ihn tröstete, aber er fand nichts. Später hörte man ihn schreien im Gang, als er versuchte, auf die Toilette zu kommen. Zwei Stunden später schlief er ein.
    Dann, am Nachmittag, hörte er die Haustür.
    Es war Herta, die Schwester von Atze. Sie hatte jetzt den Schlüssel. Und sie war wirklich fett. Als Olivier ihre Hände sah, bekam er Angst. Sie würde ihm weh tun, sie würde ihm ganz bestimmt weh tun.
    Du musst Olli sein, sagte sie.
    Ich heiße Olivier, sagte er.
    Was ist denn das für ein Name, sagte sie. Wir sind hier in Deutschland. Sie grinste.
    Trotzdem Olivier, sagte er.
    Sie kam an sein Bett und fragte, wie es passiert ist, wo genau der Schmerz sitzt und bei welchen Bewegungen es weh tut. Dann begann sie ihn zu quälen. Sie rieb an seiner Haut herum, drehte und zerrte an ihm. Im Treppenhaus blieben die Nachbarn stehen und überlegten, ob sie die Polizei rufen sollten, aber schon früher war gebrüllt worden in dieser Wohnung, gleichgültig verschwanden sie hinter ihren Türen. Olivier schrie.
    Herta behandelte ihn. Herta war Witwe. Sie hatte nicht wieder geheiratet, sie lebte allein. Sie ist total verfressen, hatte Atze gesagt. Ich bringe dir ein Vorhängeschloss für den Kühlschrank mit. Vor Herta ist nichts sicher. Ihre schweren, großen Hände lagen auf Olivier, sie legte sie nur hin und ließ sie liegen auf der Haut.
    Craneosakrale Therapie, sagte sie, kommt aus Amerika. Aber es hilft. Es beginnt sich von innen zu lösen, aber du musst Ruhe geben.
    Olivier rührte sich nicht. Als sie fertig war, ging sie in die Küche. Sie kam mit einem belegten Brot zurück und setzte sich neben den Fernseher.
    Hast du das alles gelesen, fragte sie.
    Die Regale an der Wand waren voll mit Büchern und Zeitschriften.
    Das ist wie in einer Buchhandlung hier, du bist doch Müllfahrer, oder. Hat deine Ex-Frau das alles gelesen, fragte sie.
    Herta schmatzte. Olivier stöhnte leise. Der Schmerz hatte nachgelassen, sein Nacken war angenehm warm. Er schaute Herta an, wie sie sich das Brot in den Mund schob.
    Ich habe das alles gelesen, sagte er. Nicht sie.
    Aber wie kommt es, dass du liest, fragte sie. Du bist doch ein Freund von Atze. Der hat in seinem ganzen Leben noch kein Buch gelesen.
    Herta grinste. Dann stand sie auf und ging dem Regal entlang. Sie las, was auf den Rücken der Bücher stand, nahm immer wieder eines heraus und schüttelte heftig den Kopf.
    Wieso besäufst du dich jeden Abend mit meinem Bruder, das hast du doch nicht notwendig. Warum tust du das, sagte sie. Du umgibst dich mit so schönen Dingen, und dann sitzt du mit diesem Holzkopf zusammen und säufst dir den Verstand weg. Es wird schon einen Grund haben, wieso ich hier bin. Die Sauferei hört sich jetzt auf.
    Olivier starrte sie verständnislos an. Sie hatte die schweren Hände in die ausladenden Hüften gestützt, sie meinte es ernst.
    Ich komme morgen wieder. Inzwischen bleibst du liegen und stehst nur auf, wenn du auf die Toilette musst. Essen stelle ich auf den Fernseher. Den Alkohol nehme ich mit.
    Kurz lächelte sie ihm zu, dann ging sie mit einer Kiste Bier durch die Tür.
    Olivier wusste nicht, ob er sie beschimpfen sollte oder nicht. Ob es ihm gefiel, wie sie war, oder ob er sie schrecklich fand, anmaßend, herrisch. Er entschied sich, nichts zu sagen. Sie saß jetzt am Steuer, nicht mehr Atze. Und es gefiel ihm.
    Sein Hexenschuss wurde besser, und er hörte mit dem Saufen auf. Herta kam täglich, manchmal zweimal am Tag. Sie massierte ihn, legte ihm die Hände auf und lieh sich Bücher aus. Olivier erzählte ihr über die Bücher, gab ihr Empfehlungen, er freute sich über ihr Interesse, über die Wucht, mit der sie sich in seine Regale stürzte, er freute sich, dass sein eigenes
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