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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman
Autoren: Bernhard Aichner
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freie Zeit im Biergarten.
    Vergiss die Schlampe, hat Atze gesagt, sein Kollege. Die fängt sich was ein und kommt auf den Müll. Das hat sie dann davon.
    Er hat Olivier das Bier in die Hand gedrückt und auf ihn getrunken.
    Die verdient uns nicht, hat er noch gesagt, die undankbare kleine Fotze.
    Ihre kleine Fotze, hat sich Olivier gedacht, die habe ich immer gemocht.
    Dann hat er getrunken mit Atze und nicht mehr gedacht an sie bis zum nächsten Abend.
    Das ging so bis vor vier Monaten.
    Olivier und Atze waren schon früh in Schwabing.
    An einem Dienstag. Es war eine dieser traurigen Straßen, die Häuser waren alle grau, da war nichts außer Fenster und Türen.
    Ein Ghetto, sagte Olivier, hier würde ich sterben.
    Er dachte an seine reizende Wohnung, dann dachte er an die Raten, dann tat er seine Arbeit. Atze saß am Steuer, Olivier rollte die Tonnen auf den Heber. Er hob den Deckel jeder Tonne kurz an und warf einen kleinen Blick in die fremden Welten der anderen. Schon oft hatte er Glück, als er den Deckel hob. Etwas lag obenauf, unversehrt, nicht wirklich in Berührung gekommen mit dem wertlosen Abfall darunter. Jemand hatte etwas Brauchbares in die Tonne geworfen, wollte es loswerden, aber Olivier konnte es brauchen. Er hat seiner Frau einen funktionierenden Entsafter mit­gebracht, und einmal ein Set versilberter Boccia-­Kugeln. Auch der Plüschsessel war einsam und sauber in einer leeren Tonne gelegen. Nur der Sessel, sonst nichts.
    Tausende Tonnen jeden Monat. Einmal kurz den Deckel heben, ein schneller Blick.
    Lass das doch, hatte Atze früher immer gesagt. Das ist doch sinnlos.
    Doch Olivier hat es trotzdem immer wieder getan. Irgendwann hat er eine offene Holzkiste mit sieben Flaschen dreiundzwanzig Jahre altem Whiskey gefunden. Seitdem hat Atze nichts mehr gesagt, ihn jeden Deckel heben lassen. Olivier hat Buch geführt über die Treffer, alle tausendsiebenhundert Mal war etwas dabei, das war der Schnitt.
    Vor Haus dreiundzwanzig hob er den Deckel einer Tonne, er schaute kurz hinein, sah aber nur vergammeltes Essen. Während er schaute, was da noch war, rollte er die Tonne Richtung Müllwagen. Er war dabei, den Deckel zu schließen, als die Tonne über den abschüssigen Gehsteig beschleunigte und über den Gehsteigrand holperte. Sie kippte. Olivier riss den Kopf herum. Er war zu langsam. Er wollte die Tonne festhalten und stolperte. Er stürzte seitlich weg, drehte sich, prallte mit dem Rücken gegen den Müllwagen und verriss sich den Nacken. Die Tonne rollte und blieb kurz vor der Seitenwand des Wagens stehen. Olivier schrie. Er stand mit dem Rücken zum Wagen und schrie. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Sein Kopf war zur Seite gedreht, er konnte ihn nicht mehr zurückdrehen, ihn nicht mehr geradestellen, ihn nicht bewegen, alles tat weh. Jeder Versuch schmerzte bis tief unter die Haut hinein.
    Atze hörte ihn, er hatte die Szene im Rückspiegel beobachtet, sich aber nichts gedacht. Als die Tonne aber stehen blieb und auch Olivier sich nicht mehr bewegte, stieg er aus und begann, sich um ihn zu kümmern. Er hob ihn auf den Beifahrersitz. Vorsichtig waren seine Bewegungen, nachdem er kurz zu fest zugepackt und Olivier ihn angeschrien hatte. Laut und lange. Er beeilte sich, Olivier von der Straße zu holen. Fenster waren aufgegangen. Gesichter schauten teilnahmslos nach unten.
    Atze brachte ihn ins Krankenhaus. Der Müllwagen stand vor der Notaufnahme. Er holte einen Rollstuhl, hob Olivier heraus und rollte ihn an der Anmeldung vorbei direkt in ein Untersuchungszimmer. Die Mülltonnen mussten warten.
    Mein Kollege hat furchtbare Schmerzen, helfen Sie ihm.
    Er stand neben dem Rollstuhl, schnaufte laut, bekam fast keine Luft mehr. Atze war fett. Früher hatte er das mit den Tonnen gemacht, aber irgendwann wurde ihm alles zu schwer, er klagte über Kurzatmigkeit, ließ sich untersuchen und wurde Fahrer. Er stand neben Olivier und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    Das wird schon wieder, sagte er und klopfte ihm auf den Rücken.
    Olivier wimmerte. Auch der Arzt brachte ihn noch einige Male zum Schreien, er bog ihn nach links und rechts, zerrte an ihm und sagte, dass er nichts tun könne.
    Hexenschuss. Ruhestellung und Physiotherapie.
    Und das nächste Mal gehen Sie zuerst zur Anmeldung, sagte er noch.
    Der Geruch von Alkohol aus den Mündern der Müllfahrer am frühen Morgen war ihm widerwärtig. Atze rollte Olivier nach Hause.
    Er brachte ihn in sein Bett, zog ihn aus, deckte ihn zu, brachte ihm Bier
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