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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman
Autoren: Bernhard Aichner
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Farbe war. Irgendwann später hat Jo lose Pigmente in Moscas Hand gestreut. Er mischte die Pigmente in seiner Hand mit Leinöl. Das Blau ermattete. Mosca konnte es sehen, wie das Leuchten erlosch.
    Ich habe lange danach gesucht, bis ich es gefunden habe. Wie ich sie mischen muss. Wie er es gemacht hat.
    Mosca bewunderte ihn, wie er ihm vorlas, wie er vor diesen Bildern stand und fähig war, sich von ihnen aufsaugen zu lassen, in sie hineinzusteigen. Mehr noch. Er mochte diese zarte Besessenheit, die in Jo war, diese Wut, mit der er suchte und fand. Er mochte diese Zufriedenheit, die von ihm ausging, nachdem er vor einem Bild angekommen war. Er war mit ihm in Madrid, in Köln, in zwanzig anderen Städten, er begleitete ihn und begann zu verstehen.
    Jo war neunzehn Jahre alt, als er das erste Mal ein Monochrom sah. Seine Arbeit war traurig, sein Leben war langweilig, seine Zukunft farblos. Dann sah er das Bild in der Kantine, eine Wurst in seiner Hand, der Prospekt vor ihm auf dem Tisch. Es war anders als alles, was er vorher gesehen hatte. Es war ein bunter Fleck, der in seine Welt kam, plötzlich hineingetropft in sein Leben. Es war da und ging nicht weg. Es ging nie mehr weg. Das Blau. Seine Augen blieben hängen auf dem Papier vor ihm, auf dem Bild in der Broschüre, auf dem Neuen unter sich.
    Dann begann er zu lesen über Klein.
    Zuerst die wenigen Zeilen in dem Prospekt, dann in Büchern, alles, was in Deutsch erschienen war über den französischen Maler Yves Klein. So fremd, so neu, so voller Lust war dieses fremde Leben, dieser Mensch so selbstbewusst, so durchdrungen von seiner Idee, von seinem Blau, von dem Wunsch, frei zu sein, monochrome Bilder zu malen, ohne jede Linie, die alles stören würde, nur das Blau, nur die Farbe, die in sich ein Kunstwerk ist, die lebt, die etwas Vollständiges, Ganzes ist, diese nach außen gelebte Verrücktheit.
    All das hat Jo festgehalten. Vom ersten Augenblick an. Es hat ihn in ein neues Leben gerissen, aus dem alten heraus, in ein neues hinein, tief in eine fremde, blaue Welt.
    Zwei Monate, nachdem er die erste Abbildung gesehen hatte, sah er das erste Original. Eine Ausstellung in Bonn. Er fuhr hin. Er war neugierig, aufgeregt, eine große Klein-Retrospektive, er würde alles sehen können, zum ersten Mal. Er saß in dem Zug nach Bonn und ahnte nicht, wie tief dieses Blau in Wirklichkeit war, wie sehr es ihn durchdringen würde.
    Als er im Museum stand, spürte er es. Er stand vor einem blauen Monochrom. Er bewegte sich nicht mehr, stand einfach nur da, das Bild hatte ihn umfangen, er spürte es rund um sich herum, es war überall, es leuchtete vor ihm und hörte nicht auf. Es hing da und strahlte, in ihn hinein. Da war eine große Kraft, die von dem Bild ausging, es war magisch irgendwie, es riss ein Loch in die weiße Wand vor ihm und griff nach ihm, zerrte an ihm, riss ihn mit, mitten ins Blau hinein, gab ihm die Hand, führte ihn langsam in die tiefste aller Farben, tief hinein in einen Raum, den er vorher noch nie betreten hatte. Da war es um Jo geschehen.
    Das war vor sechs Jahren.
    Drei Monate später lernte er Mosca kennen.
    Jo hatte gekündigt, kurze Zeit nachdem er im Museum gewesen war. Er hatte begonnen, mit den Pigmenten zu experimentieren, er wollte dieses Blau. Er hatte das Geld nicht, um sich ein Monochrom von Klein zu kaufen, also versuchte er, sich sein eigenes zu malen, er wollte sein eigenes Blau herstellen. Er saß an der Quelle, er wollte die richtige Mischung finden, er bestellte Pigmente, Ultramarinblau in den unterschiedlichsten Tönungen, und er begann zu mischen. Er wollte dieses Blau für sich, er wollte es besitzen. Klein hatte es erfunden, das tiefste und reinste Blau, das es gab. Jo wollte es auch.
    Nächtelang saß er im Labor und mischte Pigmente mit Äthylalkohol, Äthylacetat und Venylchloridharz. Mit Rhodopas alleine war es nicht getan, die genaue Dosierung machte ihm Probleme, der Grad der Verdünnung und der Umstand, dass die Farbmischungen sehr schnell trockneten. Etwas fehlte. Wenn Jo die Farbe auf den Untergrund auftrug, kam zuerst Freude, dann Enttäuschung. Es war nicht dieses Blau, etwas fehlte. Insgesamt fertigte er zweihundertsiebenunddreißig Farbmuster an. Zweihundertsechsunddreißig Enttäuschungen, dann war es da.
    Das internationale Klein-Blau.
    Dann kündigte er.
    Er trug Pigmente auf Leinwände auf, wie besessen. Mit den gleichen Rollen wie Klein, siebzehn Zentimeter breiten Rollen aus Lammfell, und mit bloßen
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