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0061 - Der Hexenberg

0061 - Der Hexenberg

Titel: 0061 - Der Hexenberg
Autoren: Hans Wolf Sommer
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Sie waren zu fünft!
    Kauernd bildeten sie das Muster des fünfstrahligen Sterns, des Pentagramms. Masken verhüllten ihre Gesichter. Masken, die das Gesicht ihrer Herren und Meister versinnbildlichten – Schakal, doppelköpfiger Löwe, Kröte, Feuersalamander, gehörnter Stier.
    Die Nacht war hell. Das volle Gesicht des Mondes tauchte den Hang in kaltes, gleißendes Licht. Die Latschenkiefern sahen aus als duckten sie sich; sie wirkten wie Wucherungen auf der Haut des Berges. Die Stimme des Windes kam flüsternd aus allen Richtungen, schien die Worte zu wiederholen, die die dämonenköpfigen Gestalten ihm anvertrauten.
    Nur vier von ihnen murmelten monoton die düsteren Beschwörungsformeln, die nicht für diese Welt bestimmt waren. Die fünfte Gestalt, die mit dem Kopf des gehörnten Stiers, schwieg. Sie hatte die Weihe noch nicht erfahren, war des Zaubers nicht mächtig.
    Sie wartete auf ihren Bräutigam, um einzutreten in den Kreis der Dienerinnen.
    »Komm, oh komm, Sybaoth, die Braut harrt deiner. Erwartung im Herzen, Freude im Blut und Begierde im Leib. Komm und hole sie in dein Reich.«
    Immer wieder murmelten sie diese Worte, in einer Sprache, die kein Sterblicher verstand. Geduldig und in der Gewissheit, dass ihr Gebet schließlich erhört werden würde, erhört von Sybaoth, dem Stierköpfigen, dem Herrn mit dem Hauch des Verderbens. Und dann kam er.
    Ein Schatten legte sich über das Gesicht des Mondes. Der kühle Nachtwind erhitzte sich, war wie die Lohe eines Feuerofens. Ein roter Lichtpunkt erschien auf dem Gipfel des Berges, wuchs an, wurde zu einem leuchtenden Nebel. Der Nebel schwebte näher, gewann an Konturen, nahm Gestalt an. Sybaoth!
    Er hatte den Ruf gehört und war gekommen – dorthin, wo man nach ihm gierte.
    Er war groß, degradierte die Dienerinnen zu fast zwergenhaften Wesen. Sein mächtiger menschlicher Körper war überall behaart und schimmerte in leuchtendem Karmesinrot. Seine Beine waren wie die Pfeiler eines Tempels, die muskelschweren Arme wie gewaltige Keulen. Der wuchtige Rumpf wurde gekrönt von einem massigen Stierkopf, in dem die Augen glühten wie das Höllenfeuer selbst.
    Die beiden Hörner, leicht gebogen, verjüngten sich nach oben, liefen aus in Spitzen, die schärfer waren als die eines mörderischen Dolchs.
    Ein donnerndes Grollen entrang sich der Kehle des Stierköpfigen.
    Heißer Dampf quoll aus den Nüstern, verwandelte die Flechten des Berghangs in ein aschenfarbenes, welkendes Gewirr, raubte den Kiefern ihren Nadelschmuck. Die Dienerinnen jedoch blieben unversehrt.
    Dann hüllte ein kaltes rotes Feuer die Gestalten ein, ein Purpurmantel, der alles Licht in sich aufsog. Ein Krachen ertönte, das den Boden erzittern ließ.
    Dann war Stille.
    Nur vier Gestalten blieben zurück.
    Der Stierköpfige und seine Braut waren verschwunden.
    Die Dienerinnen stimmten einen Lobgesang an.
    »Mächtiger Herr, wir danken dir, dass du uns erhört hast. Möge sie dir eine gute und gehorsame Braut sein!«
    Sie richteten sich auf, nickten einander zu, klammerten sich an ihre magischen Stäbe.
    Dann verschwanden sie ebenfalls, als habe sie die Nacht verschluckt.
    ***
    Nachdenklich legte Professor Zamorra den Telefonhörer auf die Gabel zurück.
    »Ärger?«, fragte Nicole Duval, die Sekretärin und Freundin des Parapsychologen zugleich war.
    Die beiden saßen in gemütlichen Lehnsesseln vor dem Kamin in der Halle von Château Montagne, das dem Professor als ständiger Wohnsitz diente, wenn ihn Beruf und Berufung nicht gerade in irgendeinen Teil der Welt führten.
    In der Feuerstelle prasselten die Buchenscheite und schufen eine ausgesprochen behagliche, anheimelnde Atmosphäre. Nicole war es gar nicht recht, dass diese Stimmung nun eine Trübung erfuhr. Aber sie kannte ihren Chef und wusste, dass ihm das Telefonat, das er gerade geführt hatte, irgendwie auf den Magen geschlagen war.
    Zamorra griff nach seinem Whiskyglas und nahm einen kräftigen Schluck.
    »Ärger?« Er zuckte die Achseln. Aber er konnte Nicole nichts vormachen.
    »Wer ist dieser Comte d’Aragnan, der da gerade angerufen hat?«, wollte sie wissen.
    »Maurice d’Aragnan ist ein alter Freund von mir. Er besitzt ein Schloss und größere Ländereien in der Auvergne.«
    »Und?«, setzte Nicole nach.
    »Er hat Kummer.«
    »Also doch!«
    Zamorra lächelte. »Er hat Kummer, sagte ich. Nicht wir.«
    »Als ob das nicht auf dasselbe hinausliefe. Wenn ein Freund von dir Kummer hat, machst du den gleich zu deinem eigenen.
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